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Sonntag, 2. Juni 2019

(Lisa schreibt) Digitalwüste Deutschland

Ich stehe an einem kleinen Bahnhof, der zu einem Dorf gehört, irgendwo im Süden Englands. Die pulsierende Stadt London haben wir schon lange hinter uns gelassen und es geht Richtung Küste ans Meer. Ich warte auf meinen Anschlusszug und frage, wie viel Kilometer verbleiben, bis ich endlich wieder das Wasser sehen kann. Es sind genau neunundsiebzig Kilometer. 
In Zeiten von Smartphone und den unendlichen Weiten des Internets ist es manchmal so einfach Fragen zu beantworten. In gerade mal zehn Sekunden weiß ich, wie viel Strecke ich noch zurücklegen muss, damit ich endlich ans Urlaubsziel komme. Die Bahn kommt pünktlich. Alles läuft nach Plan.

Einige Wochen später hat sich mein entspannter Gesichtsausdruck komplett gewandelt. Mit genervter Miene stehe ich an einem Bahnhof irgendwo in der Nähe von Köln. Mein ursprünglicher Plan eine Freundin in Frankfurt zu besuchen verwandelte sich in eine komplette Katastrophe. Irgendwo hinter Köln hat mich mein Zug, der mich eigentlich per Direktverbindung nach Frankfurt bringen sollte, ausgespuckt und seit einer halben Stunde versuche ich verzweifelt herauszufinden, wo ich bin und vor allem wie ich hier wieder wegkomme. Aus meinen Bemühungen lässt sich leicht eine Zirkusnummer machen, da ich mein Smartphone in alle Richtungen halte und auf dem Bahnsteig von einem Bein auf das andere hüpfe. Es fehlt nur noch die Clownsnase und das Einrad. Auch wenn ich meine reisenden Mitmenschen damit durchaus belustige, bleiben meine Versuche erfolglos. Kein mobiles Netz, kein Internet und somit auch keine Chance herauszufinden, wie ich diesen Ort verlassen kann. 
Am besten, ich kaufe mir Clownsschminke und suche mir einen netten Zirkus zum Mitreisen, bis ich wieder Netz habe.

Trotz auf das Smartphone stierende Zombies, die durch die Innenstädte flanieren und einer Gesellschaftsstruktur, die nur noch aus Digitalisierung zu bestehen scheint, hat es unsere Kanzlerin, Angela Merkel, einmal unfreiwillig auf den Punkt gebracht: Das Internet ist für uns 'Neuland'. 
Während es in anderen Ländern eine Selbstverständlichkeit ist, beim zur Verfügung stellen eines mobilen Netzwerkes keinen Unterschied zu machen, ob man auf ein weites Feld blickt oder gerade das Glück hat sich in einer Stadt zu befinden, traben wir in Deutschland der Digitalisierung hinterher. Als moderner Mensch in einer zivilisierten Gesellschaft ist es fast nicht mehr möglich ohne Internet unterwegs zu sein und doch kann man fast vor dem inneren Auge die ungläubigen Gesichter der älteren politischen Damen und Herren sehen, wenn ihnen eröffnet wird, dass es in anderen Ländern in den Städten überall freies WLAN gibt.
Egal, wo man steht. Und das ganz ohne Hüpfen und Beten. 
Toll, wie die Digitalisierung funktioniert...außerhalb von Deutschland. 

In Deutschland allerdings hat sich der Begriff der 'Digitalwüste' mit Begeisterung durchgesetzt. Nehmen wir das Beispiel der Schulen. 
Schulen, die Bildungseinrichtungen, in denen unsere Hoffnungsträger für die Zukunft ausgebildet werden und da die Digitalisierung außerhalb von Deutschland unaufhaltsam und zügig voranschreitet und bei uns gemächlich dahinfließt, würde man davon ausgehen in den Schulen zumindest ein paar Hoffnungsträger in Sachen Digitalisierung zu finden. Und tatsächlich sind Internet Klassenzimmer mit Tablet Präsentationen und Virtual Reality Brillen keine Seltenheit mehr. Vorbei die Zeiten, in denen Lehrerinnen und Lehrer bereits bei der Programmierung eines Videorekorders verzweifelt die Hände über den Köpfen zusammengeschlagen haben. Jetzt sind unsere Lehrer auf dem neusten Stand der Technik und können ihre Schülerinnen und Schüler den Lernstoff sogar mit Hilfe der virtuellen Realität vermitteln.
Aber ist das wirklich der Fall oder ist die digitale Ausrüstung deutscher Klassenzimmer ein netter Anfang aber noch lange nicht das Ende des Weges?
Ich habe mit einer Lehrerin gesprochen und bestätigt bekommen, dass man sich als Lehrerin oder Lehrer zwar nicht über fehlende digitale Ausrüstung beschweren, der Knackpunkt allerdings bei der Vermittlung besteht, wie man diese Technik sinnvoll in den Unterricht integrieren kann. Es fehlt an kompetenten Schulungen für die, die das Wissen vermitteln. So bleibt digitaler Unterricht meistens auf der Strecke und der gute alter Overheadprojektor kommt wieder zum Einsatz. So werden Lerninhalte auch vermittelt, doch der Digitalisierung hilft es nicht weiter, wenn die nötigen technischen Geräte im Klassenzimmer verstauben. 
Früher, wenn Lehrerinnen und Lehrer bereits bei der Einstellung des Videorekorders verzweifeln, waren es meistens die Schüler, die sie retteten. Dieses Bild hat sich bis ins heutige Jahr gehalten. Das ist im gesellschaftlichen Wandel eine normale Erscheinung, da die Jüngsten bereits von klein auf mit Digitalisierung konfrontiert werden und es den älteren Mitglieder der Gesellschaft immer schwerer fällt mitzuhalten und bei vielen schlichtweg die Bereitschaft fehlt sich mit digitalen Inhalten auseinanderzusetzen. 

Mit der Zeit haben sich in Deutschland also immer mehr digitale Baustellen aufgetan, so dass der Begriff 'Digitalwüste' eine treffende Bezeichnung ist für ein Land, das zwar glaubt im Digitalisierungszug zu sitzen und mitzufahren aber in Wahrheit immer öfter an Bahnhöfen strandet, mitten im Nirgendwo, und verzweifelt hüpfend versucht Netzempfang zu bekommen. 

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