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Sonntag, 27. September 2020

Sally Rooney - Normale Menschen

 



Verlag: Luchterhand
Seiten: 320
Erschienen: 17. August 2020
Preis: 20 Euro (Ebook: 15.99 Euro)







Stellt euch vor, ihr lernt zwei Menschen kennen, die unglaublich gut zueinander passen, die sich ergänzen und scheinbar in- und auswendig kennen, auf die jeder - eigentlich normalerweise nervige - Kalenderspruch wie 'jeder Topf hat seinen Deckel' zu passen scheint, und dann merken diese beiden Menschen nicht, wie sehr sie sich in dem jeweils anderen wiederfinden und wie perfekt sie füreinander sind. 
Und schon sind wir mittendrin in Sally Rooneys Roman "Normale Menschen", in der die Autorin von einer Liebesgeschichte erzählt, die aus dem Leben gegriffen zu sein scheint. Wenn man etwas jemals als zeitgenössische Literatur bezeichnen kann, dann dieses Buch.
Es begann ganz unschuldig in der Küche eines viel zu großen Hauses, das mit seiner Ausstattung Außenstehenden sofort klar machen will, dass in diesem Haus das Geld reichlich vorhanden ist, in einer irischen Kleinstadt. Marianne und Connell gehen zusammen zur Schule und damit enden auch schon ihre Gemeinsamkeiten. Es ist nicht nur, dass beide aus völlig verschiedenen Gesellschaftsschichten kommen: Während Marianne das große protzige Haus, in denen sich die beiden Hauptfiguren zum ersten Mal bewusst wahr nehmen, ihr Zuhause nennt, kommt Connell eher daher, was man im allgemeinen Sprachgebrauch wohl 'untere Mittelschicht' bezeichnen würde. Und während Connell der allseits beliebte, mit vielen befreundete und mit noch mehr gut bekannte, Typ ist, ist Marianne dagegen eine krasse Außenseiterin. Doch bei ihrer ersten Unterhaltung entdecken beide, dass viel mehr in den jeweils anderen steckt, als sie vorher geahnt haben, und die Geschichte der beiden beginnt.

Erzählt wird in "Normale Menschen" auf ganz besondere Art und Weise. Wir begleiten Marianne und Connell in bestimmten Zeitabschnitten ihres Lebens, was dazu führt, dass sich ihre Geschichte über mehrere Jahre vor den Leserinnen und Lesern ausbreitet. Durch diesen Erzählstil lässt Sally Rooney sehr viel Raum offen für Interpretationen, da durch die Zeitsprünge vieles vorher Geschehene nicht weiter ausgeführt wird. Dieser Intepretationsraum lässt die Handlung immer unvorhersehbar erscheinen, da man sich teils mit freudigem und teils mit bangem Gefühl fragt, was in der Zwischenzeit passiert sein könnte. Und auch Sally Rooneys Schreibstil hebt sich von bisher Gekanntem ab. Auffällig und ungewöhnlich ist, dass sie die Anführungszeichen vor der wörtlichen Rede weglässt. So allerdings fesselt sie ihre Leserinnen und Leser an ihre Geschichte, denn, wenn man jedes Mal die-oder denjenigen ausfindig machen muss, der gesprochen hat, wird man nicht dazu verführt Abschnitte in der Geschichte querzulesen, sondern sich intensiv mit dem Geschriebenen auseinander zu setzen. 

Aber auch ohne dieses erzählerische Stilmittel ist es fast nicht möglich sich von "Normale Menschen" nicht fesseln zu lassen, denn was für eine unfassbare und intensive Tiefe Sally Rooney ihren beiden Hauptfiguren eingehaucht hat, das ist schon beeindruckend. In der gesamten Geschichte wirken Marianne und Connell immer ein wenig so, als würden sie über den anderen Menschen in ihrem Leben stehen. Sie setzen sich mit einer unglaublichen Intensität mit ihrem eigenen Leben und Themen, die ihre Mitmenschen in ihrem Alter noch oder überhaupt nicht interessieren, auseinander und heben ihren Blick weit über den Tellerrand hinaus. Auf der anderen Seite allerdings wirken sie in ihrem Verhalten sich und einander gegenüber teilweise kindlich und oft auch selbstzerstörerisch, was teilweise aber auch an ihren persönlichen Hintergründen liegt. Connell, der anfangs symapthische und beliebte Typ aus der Schule, zeigt bald, dass er beinahe schon verzweifelt seinen Platz im Leben sucht und einfach nicht fündig wird. Auf der einen Seite möchte er unebdingt dazugehören, fühlt sich aber auf der anderen Seite seinen Mitmenschen überhaupt nicht zugehörig und gerade das Verhalten seiner Freunde auf der Schule gegenüber Marianne, widert ihn an. Marianne, anfangs die krasse Außenseiterin in der Schule, die allerdings wenig Probleme mit dieser Rolle hat, scheint es überhaupt nicht zu interessieren, was ihre Mitmenschen über sie denken. Bald allerdings wird deutlich, dass sie auf der verzweifelten Suche nach Liebe ist und nach jeder weiteren Zurückweisung jeglicher Art ihren eigenen Wert immer mehr in Frage stellt. 
Mariannes und Connells Geschichte, die Wegpunkte, an denen sich ihre Leben berühren sind durchzogen von Missverständnissen aller Art, woran man auch merkt, wie jung sie noch sind und wie nahe an der Realität Sally Rooneys Roman ist. Denn man findet in "Normale Menschen" alles über das Erwachsenwerden: Liebe Freundschaft, Sex, Zurückweisung, Füreinander da sein und die scheinbar endlose Suche nach dem eigenen Ich und dem Platz im Leben. 
Und dann ist da noch diese große Liebesgeschichte zweier Menschen, von der man auf jeder Seite hofft und bangt, dass sie am Ende doch noch zueinander finden. 

Mittwoch, 23. September 2020

Erin Morgenstern - Das sternenlose Meer



Verlag: Blessing
Seiten: 640
Erschienen: 25. Mai 2020
Preis: 22 Euro (Ebook: 17.99 Euro)




Wir betreten die Bibliothek irgendeiner amerikanischen Universität. Draußen ist es kalt und erste Schneeflocken fliegen in der Dämmerung an den großen Fenstern der Bibliothek vorbei. In einer besonders verwinkelten Ecke treffen wir auf einen jungen Mann namens Zachary. Neben ihm steht ein großer wackliger Bücherstapel, und vor ihm noch ein weiterer. Sofort wird klar, Zachary liebt Bücher, doch gerade blättert er mit großen glänzenden Augen in bloß einem einzigen Buch. Schon auf dem ersten Blick unterscheidet es sich von den anderen Büchern in der Bibliothek und auch, dass es ohne Signatur ist, macht es noch ein bisschen mysteriöser, doch das größte Geheimnis soll Zachary erst später herausfinden, als er erkennt, dass er in "Süßes Leid", so lautet der Titel des Buches, seine eigene Geschichte zu lesen bekommt. Für Zachary beginnt ein fantastisches Abenteuer.

 Es mag sein, dass Zachary die Hauptfigur in "Das sternenlose Meer" von Erin Morgenstern verkörpert, doch in Wahrheit ist er die Spitze eines verwinkelten, in vielen Richtungen aufgebautes, aufeinander gestapeltes, fantastisches und großartig aufgebautes Erzählkonstrukt, das an wunderbarer Erzählkunst nicht mehr zu überbieten ist. Allein der Haupthandlungsstrang ist so wunderbar fantasievoll und voller neuen Ideen, dass man jeden Weg, den Zachary geht mit großen Augen verfolgt und es nicht mehr erwarten kann, weiter zu blättern. 
Doch dann sind da noch die vielen Nebengeschichten, scheinbar wahllos zusammengewürfelt, die immer wieder die Haupthandlung unterbrechen, aber meistens mit dem sternenlosen Meer in Verbindung stehen, genau wie Zacharys Erzählstrang. Allen voran geht die kurze Geschichte von Schicksal und Zeit, die Zachary zu Beginn des Buches erzählt bekommt und mit dessen Motive und Symbole es man immer wieder im Verlauf zu tun bekommt. 
Doch, was ist diese Autorin bloß für eine großartige Erzählerin? Was für wunderbare Geschichten sie in "Das sternenlose Meer" vereint, die sofort ins Herz gehen und mit deren Worte man sich am liebsten zudecken möchte. Und scheinbar wahllos zwischen die Seiten geschoben, ergeben sie doch mit jeder weiteren gelesenen Seite immer mehr Sinn und verweben sich langsam mit der Haupthandlung. 
Wie viele andere Leserinnen und Leser, die in das sternenlose Meer getaucht sind, habe auch ich mich einstweilen ein bisschen verloren gefühlt in den vielen Geschichten mit den unzähligen Hintertüren und Symbolen, und auch am Ende des Buches fühlte ich mich mit vielen offenen Fragen alleine gelassen, doch zusammenfassend war "Das sternenlose Meer" eine großartige und vor allem einzigartige Leseerfahrung. So etwas wie Erin Morgensterns Nachfolger des Bestsellers "Der Nachtzirkus" habe ich zuvor noch nie lesen dürfen. Dazu sprüht dieses wunderbare Buch auch noch dazu von einer unbändigen Liebe zum geschriebenen Wort. Alles in "Das sternenlose Meer" ist voller Geschichten und Bücher und Katzen, die fast schon obligatorisch zu unzähligen Regalreihen voller Bücher und dem Lesen dazugehören und ein bisschen die heimlichen Stars des Buches sind. Aber nicht nur die Liebe zu Büchern wird hier thematisiert, sondern auch die Liebe allgemein, die man fast durchgehend in der Geschichte findet. An jeder geheimnisvollen und verwinkelten Ecke leuchtet sie einem entgegen und beweist immer wieder, was für eine große Macht sie besitzt und dass sie Raum- und Zeitgrenzen überwindet. 

Wer Fantasy liebt und dazu noch eine Schwäche für besondere Bücher besitzt, der muss "Das sternenlose Meer" im Bücherregal stehen haben, denn vielleicht ist es genau das besondere Buch, diese magische und besondere Geschichte, die auch Zachary in "Süßes Leid" im Bücherregal gefunden hat.
Seid ihr bereit für ein großes Abenteuer?

Donnerstag, 10. September 2020

Lesemonat Juli

 

Und wieder einmal etwas verspätet kommt hier mein Lesemonat Juli. Im Juli dieses Jahres habe ich insgesamt acht Bücher gelesen mit 3414 Seiten. Das war ja schon einmal nicht schlecht, dann kann es ein wenig ausführlicher werden. 

Das erste Buch aus dem Monat Juli kommt von Patrick Rothfuss. "Der Name des Windes" stand schon länger auf meiner Liste der Bücher, die ich unbedingt bald lesen wollte - und ich wurde nicht enttäuscht. Der Auftakt der Reihe ist eine abenteuerreiche Reise, nicht nur eine fantastische, sondern auch eine fantasievolle Geschichte und eine faszinierende Lebensbeichte. Ich freue mich schon sehr auf den geteilten Nachfolger und natürlich auf den Abschluss der Reihe (der leider noch nicht veröffentlicht ist, aber auch ich reihe mich nun in die Leserinnen und Leser ein, die hoffen, dass die Veröffentlichung nicht mehr lange dauert)

Weiter ging es mit dem zweiten Teil der Ellingham Academy Serie. Der Auftakt von Maureen Johnson "Was geschah mit Alice?" hat mich total überrascht und mir richtig gut gefallen. Eine interessante und detailreiche Detektivgeschichte, die in einem alten Internat in den Wäldern Vermonts spielt. Da musste natürlich auch der zweite Teil "Die geheimnisvolle Treppe" her und wieder einmal war ich begeistert. Stevie, weiterhin die unglaublich sympathische Heldin der Geschichte, ermittelt nach ihrer kurzen Abwesenheit weiter im spektakulären 'Ellingham Fall' im Internat, und wieder stellen sich ihr einige Hindernisse in den Weg und da ist auch immer noch David, der in den Pausen, wenn sich Stevie nicht gerade mit ihrer Detektiv Arbeit beschäftigt, in ihrem Kopf herumspukt. Genauso wie der Vorgänger endet auch "Die geheimnisvolle Treppe" mit einem gemeinen Cliffhanger, der dazu führt, dass man das Erscheinungsdatum den Abschlussbandes rot im Kalender anstreichen wird.

Das nächste Buch kommt von keinem Unbekannten. "Der Outsider" von Stephen King war meine erste Urlaubslektüre im Juli und immer wieder bin ich erstaunt, was dieser Mann alles kann. "Der Outsider" ist ein hochspannder Kriminalroman geworden, der ganz langsam mit immer mehr mystischen Elementen gespickt wurde und mit einem guten Ende aufwarten konnte. Nicht eine Sekunde wurde ich in der Geschichte nicht unterhalten und so waren die etwa siebenhundert Seiten auch im Nu ausgelesen. Es ist immer gut Lieblingsautoren zu haben, man wird einfach so gut wie nie enttäuscht. 

Die nächste Urlaubslektüre kommt von einer Frau, von der sicher noch Stephen King einiges hätte lernen können. Die Grande Dame des Kriminalromans Agatha Christie. Ihr Roman "Und dann gab's keines mehr" stand ebenfalls schon länger auf meiner Wunschliste und spielt auf einer einsamen Insel, auf der zehn völlig unterschiedliche Personen eingeladen werden in ein großes Sommerhaus, das dann relativ zeitnah nach der Ankunft der Inselgäste Schauplatz eines Mordes wird. Und während die übrig gebliebenen Personen noch rätseln, was passiert ist, bahnt sich auch schon das nächste Unglück an. Auch "Und dann gab's keines mehr" hat mich hervorragend unterhalten und auch ich wurde lange in die Irre geführt, bis ich wusste, was da auf der Insel vorgeht. Ein toller Krimi. 

Weiter ging es im Juli mit "Schöner als überall" von Kristin Höller. Die Autorin hat eine zarte und poetische Geschichte über das Erwachsen Werden geschrieben. Noah und Martin sind schon ihr ganzes Leben Freunde, auch als beide aus ihrem verschlafenen Wohnort nach München ziehen. Am Anfang der Geschichte kehren sie genau dorthin wieder zurück und erfahren auf unterschiedliche Weise, was im Leben wirklich zählt- und wie sie dieses leben wollen. Vor allem die Sprache, die Kristin Höller benutzt, hat mir besonders gut gefallen.

Im Juli gab es dann auch wieder ein bisschen Poesie. Poesie von der besonders schönen Sorte. Seit mir Amanda Lovelace mit "The princess saves herself in this one" das Herz gebrochen hat, musste jeder ihrer Gedichtbände bei mir einziehen, genauso wie zuletzt "break your glass slippers", der Beginn einer neuen Reihe, die mir wieder einmal sehr gut gefallen hat. Ich kann gar nicht genau beschreiben, warum mich die Worte der Autorin jedes Mal so besonders rühren, aber es scheint, als öffnete sich jedes Mal etwas in mir beim Lesen ihrer Gedichte und ich fühle mich verstanden. So, als ob jemand ein paar meiner Gedanken in Worte fasst. Ein unglaubliches Talent, das diese Frau besitzt.

Von meinem vorletzten Buch aus dem Lesemonat hätte wahrscheinlich auch nicht der Autor John Ironmonger gedacht, dass es jemals so eine erschreckende Aktualität erlangen würde. Zunächst erzählt der Autor "Der Wal und das Ende der Welt" von einem Aussteiger, der an der Küste eines kleinen und entlegenden Küstenorts strandet und freundlich und fast schon liebenswert von den Bewohnern des Ortes aufgenommen wird. Bald schon stellt sich heraus, dass die Hauptfigur anscheinend einem Wal seine Rettung aus den Fluten verdankt und auch seine weitere Geschichte an diesem entlegenden Ort wird immer wieder von diesem Tier geprägt. Als dann eine dramatische Grippeepidemie die Welt heimsucht, müssen die Bewohner des Dorfes zusammen arbeiten, um sich durch diese erschreckenden Zeiten zu retten. John Ironmonger ist eine großartige Geschichte gelungen, ein beeindruckendes Stück Menschlichkeit und wie immer wieder einzelne Personen Geschichte prägen können - oder eben ein riesiger Wal.

Das letzte Buch aus dem Juli war ein Reread eines meiner Lieblingsbücher. In "Small World" von Martin Suter begegnen wir Konrad Lang, einer der liebevollsten Figuren, die ich jemals kennen lernen durfte. Martin Suters Hauptfigur erkrankt langsam an Demenz. Es fängt mit Kleinigkeiten an, dass der Schlüssel plötzlich im Eisfach landet oder der Weg zum Einkaufen vergessen wird und steigert sich langsam in Dramatische. Besonders wichtig ist, dass die Aufmerksamkeit auf eine Krankheit gelenkt wird, für die es noch viel zu wenig Verständnis gibt. 

Das war es auch schon wieder mit meinem Lesemonat, der sehr erfolgreich war. Es geht weiter in den August. 

Sonntag, 6. September 2020

Ambrose Parry - Die Tinktur des Todes




Verlag: Pendo (Pieper)
Seiten: 464
Erschienen: 31. August 2020
Preis: 16.99 Euro (Ebook: 12.99 Euro)






Herzlich Willkommen im alten Edinburgh. Enge Gassen, verschlungene und versteckte Winkel an jeder Ecke, zwielichtige Typen in langen Mänteln und grimmigem Gesichtsausdruck. Überall scheint ein mysteriöser Nebel über der gesamten Szenerie zu liegen.
In diesem Edinburgh begegnen wir einer Figur, die gerade mit einem verzerrten Gesichtsausdruck, aus dem der Schrecken und die Furcht noch nicht ganz gewichen sind, aus einem Hauseingang gestolpert kam. Als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her, flieht der Mann in eine besonders dunkle Gasse und verschwindet im Nebel. Und so sind wir mitten herein ins Ausgangsszenario des historischen Kriminalromans "Die Tinktur des Todes" von Ambrose Parry, dem Pseudonym der Autoren Christopher Brookmyre und Marisa Haerzman, gefallen. Begegnet sind wir der Hauptfigur Raven, der sein bisheriges Leben in den eher zwielichtigen Gegenden Edinburghs verbracht hat und die Chance bekommt sein Leben zu ändern, als Lehrling des berühmten Arztes Dr.Simpson, spezialisiert auf Geburtshilfe, gut betucht und häufig im Milieu der reichen Bevölkerung Edinburghs unterwegs. Doch bevor Raven auch nur einen Schritt in seinem neuen Aufgabengebiet unternehmen kann, beginnt eine erschütternde Mordserie in der schottischen Stadt und mit dem Hausmädchen aus Dr. Simpsons Haushalt, Sarah, begibt sich Raven auf die Spur des Täters. 
Sicherlich muss man bei "Die Tinktur des Todes" zuerst die wunderbare Atmosphäre des Romans herausheben, die sich vor allem im alten Edinburgh verdichtet und den Leser ganz langsam vollkommen einnimmt. Edinburgh wirkt schließlich auch heute immer noch mystisch und geheimnisvoll, was bietet sich da besser an einen Kriminalroman im historischen Edinburgh spielen zu lassen? 
Auch wenn sich die Handlung an manchen Stellen des Buches etwas gezogen hat, hat mir mein Ausflug ins alte Schottland insgesamt gut gefallen. Tatsächlich hatte ich mit Raven, als Hauptfigur, manchmal meine Probleme, weil er oft überheblich wirkte und auch ein bisschen undurchsichtig, doch ungefähr bei der Mitte der Geschichte wurde er zugänglicher und es wurde deutlich, dass er eigentlich nur Gutes im Sinn hat. 
Sarah, die für mich der heimliche Star des Romans war, war mir dagegen von der ersten Seite an sympathisch. Ihre Klugheit und Neugier haben mir sofort imponiert und ich empfand wahrscheinlich genauso oft wie Sarah selbst die vollkommene Ungerechtigkeit ihrer Situation, dass sie mit ihren Ambitionen in die falsche Zeit geboren, diese nicht ausleben konnte und ihr ganzes bisheriges Leben eine einzige Unterforderung war. Umso mehr imponierte mir, dass sie trotzdem immer wieder Wege fand ihre Interessen durchzusetzen und somit diesen historischen Kriminalroman einen Hauch Feminismus verlieh. 
Die schlussendliche Auflösung der Geschichte hatte ich dann auch erst ganz am Schluss vorausgeahnt und die genretypische Präsentation des Schurken war dann eine kleine Überraschung.
Zum Abschluss möchte ich noch betonen, dass "Die Tinktur des Todes" auch in medizinischer Hinsicht unglaublich interessant zu lesen war, weil man sehr viele Einblicke in die medizinische Arbeit zur Zeit, in der der Roman spielt, bekommt und die - so gehe ich aus - exakt recherchiert war, da ein Teil des Autorenduos, Marisa Haetzman, Medizinhistorikerin ist, zwanzig Jahre als Anästhesistin gearbeitet hat und ihre Forschungsarbeit zur modernen Anästhesie überhaupt erst die Idee zum vorliegenden Roman geliefert hat. Auch, wenn dem Leserin und dem Leser einige historische Medizinpraktiken in "Die Tinktur des Todes" die Haare zu Berge stehen lassen wird, war dies doch eine interessante Abrundung des Romans, der Interesse weckt an den Folgebänden. 

"Die Tinktur des Todes" ist der Auftakt der 'Die Morde von Edinburgh' Reihe.