Freitag, 25. Januar 2019

Meg Wolitzer - Die Ehefrau





Verlag: Dumont
Seiten: 272
Erschienen: 21. Oktober 2016
Preis 11 Euro (Taschenbuch)






Joan und Joe Castleman scheinen wie das Vorzeigeehepaar aus einer längst vergangenen Zeit. Seit scheinbar Ewigkeiten verheiratet ist er der erfolgreiche Schriftsteller und sie die treu-und fürsorgliche Ehefrau, die immer an der Seite ihres Mannes steht und natürlich auch in einer, zwar nicht handelnden aber doch präsenten Art und Weise an dem beruflichen Erfolg von Joe beteiligt ist.
Ihr Glück scheint den Höhepunkt zu erreichen, als Joe erfährt, dass er den Helsinki-Preis gewonnen hat, ein renommierter und überdies hoch datierter finnischer Literaturpreis. Gemeinsam mit Joan macht sich Joe auf den Weg nach Finnland, um den Preis entgegen zu nehmen und natürlich auch eine Rede zu halten. Auf dem langen Flug in die finnische Hauptstadt beginnt Joan damit ihre bisherige Ehe mit Joe Revue passieren zu lassen. Aus einem anfänglichen Blick in die Vergangenheit wird schnell ein immer mehr zerbröckelndes Bild einer Ehe, die den Großteil ihrer Zeit vor allem eines getan hat: den Schein zu wahren. Joan zeichnet mit sich selbst das Bild einer Ehefrau, die immer nur zurückgesteckt hat und für das Wohl ihres Mannes und in einem Flugzeug hoch über den Atlantik trifft Joan eine folgenreiche Entscheidung...

Es ist immer wieder eine Bereicherung mitzuerleben, wenn es eine Autorin oder ein Autor schafft auf verhältnismäßig wenigen Seiten eine großartige, beeindruckende und intensive Geschichte zu erzählen. Meg Wolitzer ist das mit "Die Ehefrau" gelungen. Auf fast schon nüchterne Art und Weise lernen wir Leser Joan kennen, die die Reise zum wohl größten beruflichen Erfolg ihres Ehemannes nutzt, um ein genauso nüchternes Fazit der gemeinsamen Ehejahre zu ziehen. Dabei beschreibt sie einen gut aussehenden und ehrgeizigen College-Professor und sich selbst als introvertierte Studentin, die noch nicht wirklich viel von der Welt gesehen hat und sich gleich bei der ersten Seminar Sitzung in Joe verliebt. Joe, der zu diesem Zeitpunkt bereits verheiratet und Vater einer Tochter war, erwidert die Avancen seiner Studentin mit anfangs nur ausholenden Komplimenten zu ihren schriftstellerischen Arbeiten, und dann schnell mit dem Beginn einer stürmischen Affäre. Die beiden ziehen nach New York und üben sich darin Joes Schriftsteller Karriere den nötigen Antrieb zu verleihen. Und bereits zu diesem frühen Zeitpunkt ihrer Beziehung beginnt Joan zurückzustecken, sich selbst auf eine weniger wertvolle Position zu setzen, als ihren Ehemann. Rückblickend erzählt versinkt sie dabei zu keinem Zeitpunkt in Selbstmitleid, sondern präsentiert sich als eine kluge Frau voller Persönlichkeit, die das Leben weit von einem ihr vorgesehenen Weg weggetrieben hat. Gerade in der Anfangszeit in der Beziehung zwischen Joan und Joe bekommt man den Eindruck, als versuche Joan ihre eigene persönliche Lebenssituation immer wieder als ein nicht erwartetes Abenteuer zu sehen und das Beste aus der Angelegenheit zu machen.
Nicht nur alle anderen Leserinnen und Leser, sondern wohl gerade auch Ehetherapeuten hätten eine ganz besondere Freude an "Die Ehefrau", denn es ist schon beeindruckend, wie vielschichtig Meg Wolitzer ihre Figuren und die beschriebene Ehe gezeichnet hat. Natürlich ist es immer problematisch, wenn gerade in dieser Art von Plot nur eine Erzählpersektive eingenommen wird und der Leser das Bild von Joe bekommt, das Joan von ihm erstellt. Vorab würde man den Eindruck bekommen, dass der Charakter von Joe bloß einseitig dargestellt wird, umso beeindruckender ist es dann, wenn man herausfindet, dass dies nicht der Fall ist. Joan gibt in ihren Erzählungen dem Leser die Möglichkeit sich ein eigenes Bild von Joe zu machen. Einem Mann, der zwar alle äußerlichen Merkmale eines in die Jahre gekommenen, aber nicht minder erfolgreichen Schriftstellers besitzt, in jederlei Hinsicht allerdings immer noch ein Kind geblieben ist. An fast keiner Stelle nimmt sie Joe gegenüber eine wertende Position ein. Sie behält den größten Teil ihrer Erzählungen die nüchterne Art und Weise bei, die ihren Charakter zu etwas ganz Besonderem macht, und erst, wer zwischen den Zeilen liest, erkennt wirklich, wie es in ihrem Inneren aussieht, wie intensiv es in ihr brodelt und wie sehr sie das Leben, das sie führt, auf den Prüfstand stellt.
Neben den großartigen Figuren in "Die Ehefrau", hat mir auch ganz besonders gut der Aufbau der Handlung gefallen, die am Anfang das perfekte Konstrukt einer Ehe sichtbar macht und im Verlauf diesem Konstrukt immer mehr Risse und Fehler hinzufügt, bis es nicht mehr überraschend kam, dass die Geschichte so endet, wie sie endet und man doch gerade von einer speziellen Wendung überrascht war. 
"Die Ehefrau" ist ein wunderbar konstruiertes, psychologisch anspruchsvolles und sehr unterhaltsames Paradebeispiel einer überaus gelungenen Geschichte geworden. Absolute Leseempfehlung.

Überdies kann ich auch aktuell die ebenfalls sehr gelungene Verfilmung des Romans "Die Frau des Nobelpreisträgers" empfehlen, die momentan in den Kinos läuft. Eine großartige Glenn Close in der Hauptrolle, die die Figur der 'Joan' wirklich und wahrhaftig perfekt ausfüllt. 

Sonntag, 13. Januar 2019

A.J. Steiger - Jeder von uns ist ein Rätsel





Verlag: Carlsen
Seiten: 400
Erschienen: 01. November 2018
Preis: 18 Euro (Ebook: 12.99 Euro)








Die siebzehnjährige Alvie war schon immer anders als ihre Mitmenschen. Sie lässt sich nicht gerne anfassen und generell zieht sie lieber die Gesellschaft von Tieren den Menschen vor. 'Asperger', so haben die Ärzte Alvies Anderssein genannt, doch ihr selbst fällt es schwer etwas mit diesem Begriff anzufangen, weil sie nicht verstehen kann, warum man Abweichungen im gesellschaftlichen Verhalten überhaupt mit irgendetwas bezeichnen muss. 
Alvie fühlt sich wohl in ihrer Wohnung und bei ihrem Job als Tierpflegerin im Zoo, obwohl ihr immer wieder Menschen begegnen, die Alvie ihr abweichendes Verhalten vorwerfen. Doch dann ändert sich plötzlich alles, als Stanley in Alvies Leben tritt. Ein Junge, der in Alvie Gefühle weckt, von denen sie sich sicher war, dass sie sie niemals fühlen würde. Und das gefällt ihr eigentlich überhaupt nicht, da Alvie Veränderungen noch nie gemocht hat. Oder etwa doch?

Der Inhalt von "Jeder von uns ist ein Rätsel" von A.J. Steiger hat mich sofort angesprochen, da ich eine Schwäche für Geschichten habe, die mit besonderen Charakteren einher kommen. Mir gelang es dann auch sehr schnell einen Einstieg in die Geschichte zu finden, da es der Autorin gut gelungen ist Alvies eigentlich sehr schweres Schicksal mit leichten Worten zu beschreiben. Im weiteren Verlauf scheint auch nichts an der Geschichte zu stocken oder den Lesefluss zu beeinträchtigen. Und doch hat mir trotzdem etwas in der Story gefehlt. Es gab keinen Funken, der übergesprungen ist, kein schweres Luftholen, in dem all der Schmerz, den die Figur, von der du gerade liest, empfindet und der in gewisser Weise auf dich übertragen wurde, sich befand. Es gab einfach nicht "das gewisse Etwas", das "Jeder von uns ist ein Rätsel" für mich persönlich zu etwas Besonderem gemacht hätte. Woran das genau lag, kann ich nicht genau benennen, womit dieses Gefühl eher zu den individuellen Empfindungen meinerseits zählt.
Sehr schnell aufgefallen ist mir auch die Tatsache, dass ich keinen Zugang zu 'Alvie' als Figur finden konnte. Etwas, was mir normalerweise leicht fällt, vor allem, wenn die Geschichte aus der Sicht des besonderen Charakters erzählt wird, wie das bei "Jeder von uns ist ein Rätsel" der Fall gewesen ist. Obwohl ich Alvies innere Kämpfe und der Zwiespalt, in dem sie sich immer wieder drängt, hautnahe miterlebt habe, haben sie mich doch irgendwie nicht erreicht. Ich möchte an dieser Stelle mir nicht anmaßen von fehlender oder unzureichender Authentizität zu sprechen, weil ich dafür einfach viel zu wenig informiert bin. Es war wohl einfach eine "höhere Macht", die dazu geführt hat, dass es Alvie und ich nicht auf eine Ebene geschafft haben. Auch die Liebesgeschichte zwischen Alvie und Stanley, die sich während der Lektüre langsam und zart entwickelt, bleibt am Ende leider blass. 
Trotzdem ist "Jeder von uns ist ein Rätsel" keineswegs eine schlechte Geschichte geworden. Wie bereits erwähnt, fällt es nicht schwer viele Seiten dieses Buches mit einer leichten und lockeren Sprache zu lesen und auch die Auflösungen in den jeweiligen Lebensgeschichten der agierenden Protagonisten besitzen einen gewissen Schockeffekt und tragen auch zum Unterhaltungswert der Geschichte bei, aber schlussendlich muss ich zugeben, dass mir die Tiefe gefehlt hat. Etwas, was das Buch in meinem Bewusstsein verankert und immer wieder an das erinnert, was ich beim Lesen gefühlt habe. Das sind aber am Ende alles individuelle Empfindungen, die keineswegs davon abhalten sollten Alvies Geschichte zu lesen, denn jede Geschichte gibt etwas, dem einen mehr, dem anderen weniger.