Sonntag, 27. August 2017

Stefan Bachmann - Palast der Finsternis


Verlag: Diogenes
Seiten: 400
Erschienen: 23. August 2017
Preis: 18 Euro (Ebook: 14.99 Euro)





 Die siebzehnjährige Anouk reist mit vier anderen Jugendlichen aus den Staaten nach Paris. Dort soll die Gruppe, die sich aus auffällig vielen Außenseiter zusammensetzt, eine Art Expedition unternehmen. Erkundet werden soll der geheimnisvolle unterirdische Palast eines verrückten französischen Adeligen, der diesen vor mehreren hundert Jahren erbauen ließ, um seine Familie zu schützen. Der Fund des Palastes gehört zu den wichtigsten geschichtlichen Entdeckungen der letzten Jahrhunderte. 
In Paris angekommen wird den Jugendlichen allerdings schnell deutlich, dass die Expedition anders verläuft, als sie zunächst angenommen hatten. Der unterirdische Palast entpuppt sich als riesiges Labyrinth und hinter jeder Ecke lauert eine neue Gefahr. Nur wenn die bunt zusammengewürfelte Gruppe zusammen hält, können sie es schaffen dem Palast der Finsternis zu entkommen...

"Palast der Finsternis" von Stefan Bachmann gehört definitiv zu den Büchern, die schon lange auf der Wunschliste standen und von mir sehnsüchtig erwartet wurden. Dabei handelt es sich sogar um das erste Buch, das ich von Stefan Bachmann gelesen habe. Der Klappentext allerdings versprach ein ereignisreiches Abenteuer an einem ungewöhnlichen Handlungsort und schlussendlich, nach der Lektüre, kann ich behaupten, dass die Geschichte in allen Punkten mithalten konnte.
Meine positive Resonanz begann schon beim ersten Eindruck der Protagonistin Anouk. Aus ihrer Perspektive werden die Kapitel des gegenwärtigen Handlungsstranges erzählt. Dabei wirkt Anouk auf den ersten Blick überhaupt nicht wie ein fröhlicher Charakter, bei dem man sich freut, mit ihr in ein Abenteuer zu starten. Sie ist mürrisch, sarkastisch und ziemlich direkt, womit sie sich bei den anderen Gruppenmitgliedern zu Beginn der Reise nicht unbedingt beliebt macht. Für mich, als Leserin, wirkte sie dadurch viel authentischer als die anderen Figuren, die ebenfalls zu Beginn der Geschichte vorgestellt wurden. In Andeutungen erfährt der Leser, dass Anouks Leben bis hierhin nicht das Leichteste gewesen ist und somit wird direkt eine Verbindung zu ihr aufgebaut, die bei mir während der ganzen Geschichte angehalten hatte. Neben dem Erzählstrang, der sich in der Gegenwart verortet, gibt es aber noch einen anderen, der in der Vergangenheit spielt und aus der Sicht der Tochter des Adeligen, der den Bau des geheimnisvollen Palastes befohlen hat, erzählt wird. In dem Zusammenhang finde ich unbedingt erwähnenswert, dass es dem Autor gelungen ist beide Erzählstränge, obwohl sie viele hunderte Jahre auseinander liegen, zusammen zu bringen und seine Geschichte zu einem gelungenen Ende zu führen.
Die Handlung selbst birgt das Abenteuer, das man von vorneherein angenommen hatte, und schafft sogar noch die ein oder andere unerwartete Wendung hineinzubringen. Vor allem der Handlungsort war nicht nur außergewöhnlich, sondern brachte sogar den Leser dazu sich mehr als einmal klaustrophobisch zu fühlen. Der ideale Schauplatz für eine abenteuerreiche Geschichte. 
Stefan Bachmann ist mit "Palast der Finsternis" eine besondere und fast schon liebeswerte Fantasy-Geschichte gelungen mit jeder Menge angenehmen Charakteren und actionreichen Handlungssträngen. Tatsächlich ist sein Buch aber auch eine außergewöhnliche Geschichte über eine Vielzahl von ungewöhnlichen Freundschaften geworden und einer Botschaft, die besagt, dass man zusammen alles schaffen kann. 

Sonntag, 20. August 2017

Lesemonat Juli

Und da ist er endlich. 
Mein Lesemonat Juli, mal wieder etwas verspätet :)
Im vergangenen Monat habe ich insgesamt zehn Bücher gelesen, insgesamt 4494 Seiten,also etwas mehr, als das, was ich normalerweise im Monat lese. Woran das gelegen hat, kann ich allerdings nicht sagen. Fakt ist aber, dass sich mal wieder ein kleines Highlight unter diesen zehn Büchern versteckt hat, aber das kommt mal wieder am Ende. Wie mir die Bücher im Einzelnen gefallen haben, erfahrt ihr, wenn ihr weiter lest. Alle da? 
Dann kann es ja losgehen. 
Los geht es mit einem Kriminalroman der ganz besonderen und paranormalen Art. "Der Freund der Toten" erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der in einem irischen Dorf das Schicksal seiner Mutter aufklären will. Im Waisenhaus aufgewachsen ist er sich sicher, dass seine Mutter in ihrem Heimatdorf den Tod gefunden hat. Wie und wer ihr Mörder war, das möchte er nun herausfinden. Jess Kidd hat einen ungewöhnlichen aber meiner persönlichen Ansicht nach großartigen Roman geschrieben. Der ausschlaggebende Grund für den Kauf des Buches war für mich der Schauplatz der Geschichte, da ich Geschichten liebe, die in Irland spielen, aber ich war sehr überrascht, wie viel Spaß ich beim Lesen hatte. "Der Freund der Toten" ist voll von schwarzen Humor und schrägen Figuren, die die ganze Story unheimlich sympathisch machen. Trotzdem glaube ich, dass das Buch nicht für jeden etwas ist. All diejenigen, die allerdings auf außergewöhnliche Geschichten stehen, die sich nicht an einen strikten Erzählpfad halten, die sind mit "Der Freund der Toten" gut bedient. 
Das nächste Buch kommt von Carson McCullers. "Das Herz ist ein einsamer Jäger" war mein persönliches Debüt mit der Autorin und ich kann voll und ganz behaupten, dass es sicher nicht bei dem einen Buch bleiben wird. Gefunden habe ich die Geschichte übrigens in dem Buch "Vom Ende der Einsamkeit" von Benedict Wells, in dem der Roman erwähnt wird. McCullers Erzählung von einer amerikanischen Kleinstadt ist von einer eigentümlichen Schönheit. Obwohl hier von vielen trostlosen Dingen berichtet wird, besaß die Geschichte etwas ganz Besonders und Eigenes, das mich fasziniert hat und mich immer tiefer in die Story hineingezogen hat. McCullers Figuren sind allsamt einzigartig und verstehen es ihre Einsamkeit auf ganz individuelle Art und Weise zu beschreiben. Glücklicherweise habe ich noch eine ganze Palette von Büchern, die ich von der Autorin lesen kann. "Das Herz ist ein einsamer Jäger" war auf jeden Fall schon einmal ein ganz besonderes Leseerlebnis. 
Weiter ging es im Juli mit dem Debütroman von Carolin Hagebölling "Der Brief", erschienen im dtv Verlag. Diese Geschichte gehört zu diesen Büchern, die man in einem Rutsch durchlesen MUSS. Es ist nämlich fast nicht möglich den Roman aus der Hand zu legen. Das Leben der Protagonistin in "Der Brief" wird völlig auf den Kopf gestellt, als sie ein Brief von einer alten Schulfreundin aus ihrem Heimatdorf erreicht, in dem die Schulfreundin sie über ihr Leben in Paris, ihrem Ehemann und ihrer Karriere ausfragt. In Wahrheit lebt Hagebölling's Hauptfigur allerdings mit ihrer Lebensgefährtin in Hamburg als Journalistin. Was wird hier also gespielt? Geschickt erzählt die Autorin von einem Leben, das nie gelebt wurde und hat einen atemlos spannenden Roman geschrieben, den ich uneingeschränkt weiter empfehlen kann. Wer noch nicht ganz überzeugt ist, kann sich gerne noch einmal meine Rezension zu "Der Brief" durchlesen. 
Das nächste Buch aus dem Lesemonat Juli war der Auftakt einer Trilogie. "A Thousand Pieces of you" ist der erste Teil der Firebird Trilogie der Autorin Claudia Gray und mein erstes englisches Buch aus dem vergangenen Monat gewesen. Ich war sehr gespannt, was mich erwarten würde, da der Klappentext eine Mischung aus Science Fiction und Fantasy versprach und ich war sehr überrascht von diesem Auftakt. "A Thousand Pieces of You" ist eine wilde und spektakuläre Verfolgungsjagd durch verschiedene Welten, die wir gemeinsam mit der Protagonistin entdecken und die unglaublich spannend aufgebaut waren. Man wusste nie, was als Nächstes passierte und auch die Auflösung fand ich sehr gelungen und freue mich schon die Trilogie so bald wie möglich weiter zu lesen. Der zweite Teil liegt schon bereit. 
Im Juli war dann auch wieder Atwood Zeit. "Das Herz kommt zuletzt" von Margaret Atwood ist ihr aktueller Roman und mein drittes Buch der Autorin. "Hexensaat" und "Der Report der Magd" konnten mich schon begeistern und auch hier ist das der Fall. Atwood hat eine Geschichte geschrieben, die sich zunächst wie eine Utopie in einer Dystopie liest und sich aber ganz allmählich und immer mehr in einem Albtraum verwandelt. Die Hauptfiguren sind ein Ehepaar, die in ein Wohnprojekt ziehen in einer Welt, die von Wirtschaftskrisen aus den Fugen geraten ist. Gesetze existieren nicht mehr und offene Kriminalität ist an der Tagesordnung. Allerdings gibt es einen Haken. Jeden Monat tauschen sie ihr trautes Heim gegen eine Zelle im Gefängnis, so soll in dem Experiment die Kriminalität ausradiert werden. Doch einiges geht schief und Margaret Atwood beweist in Bestform, dass sie einen ganz bestimmten Blick auf die Gesellschaft hat und es versteht diese in ihren Geschichten zu kritisieren. Ich freue mich schon riesig ihr Werk weiter zu lesen. Für mich ist Atwood definitiv meine literarische Heldin des Jahres. Auch zu "Das Herz kommt zuletzt" habe ich eine Rezension geschrieben. 
Das dickste Buch, das ich jemals gelesen habe, war "Es" von Stephen King. "Das kalte Blut" von Chris Kraus steht allerdings seit dem Lesemonat Juli auf Platz zwei meiner dicksten Schmöker. Mit 1200 Seiten erzählt der Autor die Lebensgeschichte zweiter Brüder aus Riga, die eigentlich zufällig in die Fängen der NS geraten, und somit ihren weiteren Lebensweg maßgeblich beeinflussen. "Das kalte Blut" ist eine Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, es ist aber auch eine Liebesgeschichte oder besser ausgedrückt eine Dreiecksgeschichte, die sich zwischen den beiden Brüdern und ihrer Adoptivschwester bewegt und Einfluss auf die politischen Ereignisse hat, die sich unmittelbar zwischen den drei Protagonisten abspielen. Es ist natürlich schwer auf so vielen Seiten nicht einmal langatmig zu werden, doch Chris Kraus ist dieses Kunststück gelungen. Wer neugierig geworden ist, auch zu "Das kalte Blut" habe ich eine Rezension geschrieben. 
Auch ein weiterer Auftakt war unter meinen gelesenen Büchern im vergangenen Lesemonat. "Schicksalsbringer - Ich bin deine Bestimmung" von Stefanie Hasse ist der erste Teil einer Dilogie und beschäftigt sich, wie man vielleicht erahnen kann, mit Schicksalsfragen. Die Protagonistin bekommt die Möglichkeit in das Schicksal der Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung einzugreifen und ist sich, nach anfänglichen unbedachten Schwierigkeiten, schnell darüber im Klaren, was für eine Verantwortung sie mit dieser Aufgabe trägt, denn ab welchem Zeitpunkt greift man in einem so intensiven Maße in das Schicksal sein, dass es das Leben der jeweiligen Person ändert, vielleicht sogar zum Negativen? Natürlich gibt es auch eine Liebesgeschichte in "Schicksalsbringer" und insgesamt hat mir die Geschichte gut gefallen, vor allem die moralischen Grundsätze fand ich gut gelungen. Und, ich war diesen Monat sehr fleißig, auch zu diesem Buch gibt es eine Rezension geschrieben. 
Weiter ging es im letzten Monat mit der Fortsetzung einer Trilogie, einer Fortsetzung, auf die ich mich schon sehr gefreut habe. "Demon Road - Höllennacht in Desolation Hill", ist der zweite Teil von Derek Landys Trilogie über Amber, die sich auf der Flucht vor ihren Eltern befindet, die sie essen wollen und nun auch vor einem Oberdämon flüchtet, der noch eine Rechnung mit ihr offen hat. Zum Glück hat sie Miles an ihrer Seite, der ihr schon das ein oder andere Mal das Leben gerettet hat. Die Fortsetzung konnte tatsächlich noch einmal einen drauf legen. Wieder einmal hat der Handlungsstrang an einen Quentin Tarantino Film erinnert auch die Figuren könnten aus der Feder des berühmten Kult Regisseurs stammen. Der Horror in "Demon Road" darf allerdings nicht unterschätzt werden, diese Geschichte ist garantiert nichts für zarte Gemüter. Ich fand die Fortsetzung großartig und freue mich schon auf das Finale. Übrigens, auch zu "Demon Road - Höllennacht in Desolation Hill" habe ich eine Rezension geschrieben. 
Selten hat mich ein Buch so verstört zurückgelassen, wie das nächste Buch aus dem Lesemonat Juli. "Geständnisse" von Kanae Minato erzählt von einer Lehrerin, deren kleine Tochter im Schulschwimmbad ertrinkt. Etwas, was zunächst wie ein tragischer Unfall aussieht, entpuppt sich als kaltblütiger Mord, der eine Fülle von dramatischen Ereignissen nach sich zieht. Das Besondere in "Geständnisse" ist zweifellos die Erzählweise. In den einzelnen Kapiteln kommen die Figuren zu Wort und führen quasi einen Monolog. Der Zuhörer ist der Leser, der ganz allmählich in das Grauen und den Schrecken, den die einzelnen Erzählungen bieten, eingehüllt wird und irgendwann nicht mehr raus kann. "Geständnisse" kann man fast nicht aus der Hand legen. Es ist ein hochspannender und unglaublich verstörender und gleichzeitig tieftrauriger Thriller, der einiges zu bieten hat. Und auch zu "Geständnisse" habe ich eine Rezension geschrieben. 
Zuletzt kommen wir nun zu meinem kleinen und feinen Monatshighlight. Habt ihr schon einmal bei einem Buch bitterlich geweint, so dass es richtig weh getan hat in der Brust? Habt ihr eine Gänsehaut gehabt, die an der Haut festgewachsen schien und musstet ihr sooft lächeln, dass man quasi zwischen Lachen und Weinen permanent abgewechselt hat? Und könnt ihr fassen, dass Gedichte diese Fülle an Emotionen auslösen können? Ich habe "The princess saves herself in this one", übrigens für mich einer der besten Buchtitel der Welt, von Amanda Lovelace aus purer Neugierde gekauft, weil so viele plötzlich von Lyrik geschwärmt haben und ich mich damit auch einmal auseinander setzen wollte. Ich hätte nie gedacht, dass dieses kleine Büchlein mich so dermaßen wegfegen würde. Aber genau deswegen liebe ich Bücher so sehr. 

So, das war er: mein Lesemonat Juli. Ich hoffe, ihr hattet ein bisschen Spaß, konntet etwas für die Wunschliste klar machen oder habt vielleicht schon etwas davon gelesen. Ich war auf jeden Fall sehr zufrieden. 

Eure Lisa. 


Sonntag, 13. August 2017

Omar El Akkad - American War





Verlag: S.Fischer 
Seiten: 448
Erschienen: 27. Juli 2017
Preis: 24 Euro (Ebook: 19.99 Euro)







Die USA im Jahr 2075. 
Der Klimawandel hat die Küsten des Landes verschwinden lassen und dringt immer weiter ins Land ein. Die Vereinigten Staaten von Amerika befinden sich in einem Bürgerkrieg nie gekannten Ausmaßes. Die Nordstaaten, die sich nur noch als 'Blaue' bezeichnen, kämpfen gegen die Südstaaten, die sogenannten 'Roten', die bereits ein eigenes Land gegründet haben.
Mittendrin in diesem beängstigenden Zukunftsszenario, die Familie Chestnut mit ihren drei Kindern Sarat, Dana und Simon. Als die Familie überstürzt aus ihrem bisherigen Heim fliehen muss, glauben die Südstaatler in einem riesigen Flüchtlingscamp Zuflucht gefunden zu haben, doch plötzlich überschlagen sich die Ereignisse und ebnen den Weg für die Familie Chestnut in ihr furchtbares Schicksal hinein...

"American War", der erste Roman des Journalisten Omar El Akkad, ist so aktuell, dass man bei jeder weiteren gelesenen Seite nicht weiß, ob man dem Autoren applaudieren oder sich verängstigt irgendwo einschließen und verbarrikadieren soll. El Akkad zeichnet ein erschreckendes Bild der USA, die sich zu einem Dritte-Welt-Land entwickelt haben. Gezeichnet vom jahrelangen Krieg und gravierenden Klimaschäden erinnert nichts mehr an die Supermacht, die das Land einmal gewesen war. 
Mittendrin in diesem politischen, gesellschaftlichen und klimatischen Chaos wird die Geschichte der Familie Chestnut erzählt, die schon sehr bald die Geschichte von Sarat wird. Die Familie wird auf ihren Weg ins Flüchtlingscamp begleitet, das ihr neues Zuhause sein soll. Vom Flüchtlingscamp aus verschärft sich der Fokus der erzählerischen Haltung des Autoren immer mehr auf die Figur Sarat, die ich persönlich auch als Hauptprotagonistin bezeichnen würde, auch wenn die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven erzählt wird. Genau diese unterschiedlichen Perspektiven auf das Geschehen, ermöglichen den Leser erstens einen genaueren Blick in das jeweilige Innenleben der Figur und ihrer persönlichen Einschätzung der schwierigen Gesamtlage und zweitens, was ich persönlich sehr interessant fand, die Wahrnehmung gegenüber der Hauptprotagonistin Sarat. Diese macht nämlich, während der Handlung in "American War", eine so krasse und intensive Entwicklung durch, dass es spannend war zu lesen, wie sie von ihren Mitmenschen wahr genommen wurde. Man begegnet gewiss nicht oft einer literarischen Figur wie Sarat. Besonders die Einschätzungen von Sarats Neffen im letzten Drittel des Buches fand ich besonders gut gelungen, da es sich bei ihren Neffen um einen der wenigen Personen handelt, denen Sarat echte Zuneigung entgegen bringt, auch wenn sie gerade am Schluss diese Zuneigung in einem Maße demonstriert, den die meisten Menschen nicht verstehen würden.
"American War" ist beängstigend. So viel steht fest. Es mag sein, dass es sich um Fiktion handelt, doch wenn man heutzutage nur einmal Nachrichten schaut, kommt es einen so vor, als hätte der Autor eine Kristallkugel zu Hause, mit der er einmal einen Rundumblick in die Zukunft geworfen hat. "American War" mag eine Dystopie sein, doch man bekommt das Gefühl nicht los, als würden in der heutigen Zeit die Weichen gestellt, um dieses erschreckende Zukunftsbild irgendwann Wirklichkeit werden zu lassen. Die 'Washington Post' schreibt zu "American War", dass es sich um eine Geschichte für all diejenigen handelt, die die Ära Trump umtreibt. Ich würde sogar so weit gehen, um zu behaupten, dass, wenn Trump dieses Jahr nur ein Buch lesen würde, es dieses sein muss. 

Donnerstag, 10. August 2017

Jaroslav Kalfar - Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt





Verlag: Tropen
Seiten: 368
Erschienen: 05. August 2017
Preis: 22 Euro (Ebook: 17.99 Euro)






Jakub Procházka wird als erster tschechischer Astronaut alleine mit einem Raumschiff ins Weltall geschickt. Seine Mission lautet eine mysteriöse kosmische Staubwolke in der Nähe der Milchstraße zu untersuchen. Die Mission soll seinem Land die Ehre und den Ruhm einbringen, das es schon so lange verdient hat. 
Nach mehreren einsamen Wochen im All beginnt Jakub allerdings langsam die Kontrolle über seine Sinne zu verlieren. Plötzlich taucht in seinem Raumschiff ein merkwürdiges Wesen, mit haarigen acht Beinen und einer Vorliebe für Nutella, auf. Als dann auch noch Jakubs Frau, Lenka, ihre Beziehung von der Erde aus beendet, scheint Jakubs Raumfahrer-Karriere eine nicht geplante Wendung zu nehmen...

"Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt" von Jaroslav Kalfar ist ein sehr gutes Beispiel, wie man sämtliche Genregrenzen sprengen kann. Der Debütroman von Kalfar vereint sowohl fantastische, biografische und Science-Fiction Elemente in sich und ist dadurch zu einer unglaublich besonderen Geschichte geworden. Eine Geschichte, in dessen Mittelpunkt ein gewöhnlicher Physiker steht, der plötzlich zur Hoffnung einer ganzen Nation wird.
Jakubs Familie steht nach dem Fall der Sowjetunion auf der falschen Seite der Geschichte. Sein Vater, als Spion angeklagt, stirbt, bevor er verurteilt werden kann. In einem Akt der lebenslangen Wiedergutmachung der Taten seines Vaters, zögert Jakub keine Sekunde, als er das Angebot erhält die kosmische Staubwolke zu untersuchen. Auch wenn er dadurch seine Ehe mit seiner Frau Lenka gefährdet. 
Während Jakubs Abenteuer im Weltall werden immer wieder Rückblenden in seine Vergangenheit in die Handlung eingebaut, die das Bild einer ganzen Familie entstehen lassen, die lebenslang für Taten büßen muss, die sie nicht begangen hat. Zudem ist "Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt" eine Hommage an die Stadt Prag, die einen wichtigen Stellenwert in der Handlung einnimmt, und als Heimatstadt des Autoren dementsprechend gewürdigt wird. 
Besonders gefallen haben mir die bereits erwähnten vielen Rückblenden in die Vergangenheit des Protagonisten, die einen guten Überblick über das Familienporträt der Hauptfigur einbrachte. Zudem bekommt gerade am Ende der Handlung eine, zunächst eher unbedeutende, Nebenfigur plötzlich einen unheimlich intensiven Stellenwert in der Geschichte, die mich nicht nur überrascht hat, sondern absolut überzeugen konnte. Weil ich nichts vorweg nehmen möchte, sollte diese kluge Wendung in der Handlung allerdings alleine entdeckt werden.
Mein absolut persönliches Highlight stellt allerdings der blinde Passagier auf Jakubs Weltraummission dar. Das geheimnisvolle achtbeinige Wesen mit der Vorliebe für Nutella und einen Hang dazu die Spezies Mensch genau unter die Lupe nehmen zu wollen. Jakubs Mitreisender brachte nicht nur viel Abwechslung in die Handlung, sondern auch einen Hauch Philosophie, die man gerade in seinen vielen Gesprächen mit dem Protagonisten erkennt. 
Mit den vielen historischen Begebenheiten, den philosophischen und fantastischen Elementen, ist "Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt" gewiss keine Geschichte, die man an jeder Straßenecke findet. Sie strahlt eine Besonderheit aus, die sie fast schon liebenswert macht. Genau so wie ihre Figuren und vor allem ihren Protagonisten, der nach seinem ständigen Drang nach Höherem zu streben, resultierend aus seiner ungewöhnlichen Familiengeschichte, vergisst, was wirklich im Leben wichtig ist. Bis ihn ein kleines Wesen aus dem Weltall auf den richtigen Weg führt. 

Dienstag, 8. August 2017

Kanae Minato - Geständnisse



Verlag: C.Bertelsmann
Seiten: 270
Erschienen: 27. März 2017
Preis: 16.99 Euro (Ebook: 13.99 Euro)









Die kleine Tochter der Lehrerin Yuko Moriguchi ertrinkt im Schwimmbad der Schule, während ihre Mutter arbeitet. Zunächst sieht es so aus, als wäre die ganze Sache ein tragischer Unfall, doch am letzten Tag vor den Ferien tritt Moriguchi vor ihre Klasse und verkündet, dass sie die Schule und somit auch ihre Schüler verlassen wird und verkündet zudem ein erschütterndes Geständnis, das ihre nun ehemaligen Schülern mit in die Ferien nehmen. Schon bald, nachdem der Schulbetrieb wieder aufgenommen wurde, wird deutlich, dass Moriguchi mit ihren Worten den Anfang für ein verstörendes und tödliches Drama gemacht hat, das sich in ihrer ehemaligen Klasse abspielt. Ein Drama, dass das Leben aller Akteure für immer verändern wird. 

In dem Moment, in dem man die letzte Seite von Kanae Minatos Thriller "Geständnisse" liest, und das Buch schließt, öffnet man es sogleich wieder, um sicher zu gehen, dass man das gerade auch wirklich in der Art und Weise gelesen hat. 
"Geständnisse" ist ein Buch wie ein pechschwarzer und verstörender Sog, der den Leser immer weiter in die Geschichte hineinzieht. Die Handlung ist gleichsam grausam, spannend und endlos traurig. Und doch bin ich der festen Überzeugung, dass genau diese Handlung mich nicht in dem intensive Maße umgehauen hätte, wenn die Autorin ihren Thriller nicht auf eine ganz bestimmte Weise erzählt hätte. Denn in "Geständnisse" kommen gleich mehrere Wahnsinnige in verschiedenen Monologen zu Wort, die ihren Wahnsinn aber zunächst in einem schweren, schwarzen Koffer verbergen, um ihn dann ganz langsam und Stück für Stück auszupacken, um den Leser in das Grauen zu treiben. Doch das wirkliche und all umfassende Grauen zeigt sich vor allem in der intensiven Neutralität, in der "Geständnisse" erzählt wird. Kann Neutralität intensiv sein? Sie kann es. "Geständnisse" beweist das. Fast schon beiläufig berichten einige Protagonisten von ihren schrecklichen Taten und geben so fadenscheinige Gründe dafür an, dass man zwischendurch nur noch den Kopf schütteln konnte. Man weiß nicht, was man fühlen soll. Ekel? Abscheu? Vielleicht sogar auf eine verrückte Art und Weise: Mitleid? All diese Emotionen scheinen sich im Sekundentakt abzuwechseln. Bei ihrer besonderen Art zu erzählen, hat die Autorin zudem darauf geachtet, den Titel ihres Thrillers zum Programm zu machen. Die Monologe der einzelnen Figuren beschönigen nichts, sie schmücken nicht aus, sie versuchen nicht um Sachen herumzureden. Viel mehr wird in "Geständnisse" alles knallhart auf den Tisch gelegt, so dass es den Leser mehr als einmal den Atem raubt und damit Wendungen provoziert, die fassungslos zurücklassen. 
Auch die Themen, die in Kanae Minatos Geschichte behandelt werden sind unglaublich interessant und hervorragend in Szene gesetzt worden. Die Autorin beschäftigt sich mit der Gesellschaft ihres eigenen Landes, die ihre Kinder ausschließlich auf Erfolg und Leistung ausrichtet und nicht merkt, wie einige Kinder daran zugrunde gehen. Zudem ist "Geständnisse" eine Geschichte über verblendete Liebe und übertriebener Fürsorge. Gleichzeitig findet man Misshandlung, Vernachlässigung und junge Menschen, die nicht mehr unterscheiden können, was richtig und was falsch ist und Linien überschreiten, die man sich nicht vorstellen kann. 
Es ist fast unmöglich "Geständnisse" beiseite zu legen. In den wenigen Momenten, in denen man dieses Buch nicht liest, formen sich Bilder im Kopf, die beschreiben, wie es weiter gehen könnte. Bilder, die irgendwann so verstörend werden, dass man unbedingt wissen muss, wie es weiter geht, um dann herauszufinden, dass die fiktionale Realität noch viel beängstigender ist, als man es sich ausmalen konnte.