Montag, 2. Dezember 2019

Stephen Chobsky - Der unsichtbare Freund





Verlag: Heyne
Seiten: 913
Erschienen: 04. November 2019
Preis: 24 Euro (Ebook: 18.99 Euro)







Auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen Exfreund Jerry, zieht es die alleinerziehende Mutter Kate und ihren siebenjährigen Sohn Christopher in das beschauliche Örtchen Mill Grove in Pennsylvania. Es führt bloß eine Straße hinein und eine Straße hinaus in die Stadt. Umgeben ist der Rest von Mill Grove von einem riesigen Waldstück, dem sogenannten Missionswald. 
Doch kurz nach der Ankunft in Mill Grove passiert das Unfassbare. Christopher verschwindet plötzlich spurlos. Jede Suche nach ihm bleibt vergebens, bis er sechs Tage später genauso plötzlich wieder auftaucht, am Rande des Missionswaldes ohne Erinnerung daran, was ihn in den Tagen seiner Abwesenheit geschehen war oder, wo er sich aufgehalten hatte. Bald schon wird sich mit der Erklärung abgefunden, dass sich Christopher wohl im Wald verirrt habe, doch kurz nach seinem glücklichen Wiederauftauchen beginnt dieser sich seltsam zu verhalten und behauptet, ein unsichtbarer Freund hätte ihm den Auftrag erteilt, ein Baumhaus im Wald zu bauen. Christopher wagt es nicht seiner Mutter die Wahrheit zu sagen und zwar, dass von diesem Baumhaus nicht nur das Überleben der gesamten Einwohnerschaft Mill Groves abhängt, sondern das der ganzen Menschheit...

Bereits nach ein paar Sätzen aus dem Inhalt von "Der unsichtbare Freund" von Stephen Chobsky war mir klar, dass ich dieses Buch haben musste. Chobskys erst zweiter Roman, den er ganze zwanzig Jahre nach seinem Debüt veröffentlicht hat und mit dem er zudem einen krassen Genrewechsel vollzieht, klang wie eine Mischung aus Stephen Kings besten Zeiten und der erfolgreichen Mysteryserie 'Stranger things'. 
Nach der Lektüre muss ich meine Einschätzung über 'Stranger things' zwar zurücknehmen, doch die außergewöhnlichen Ähnlichkeiten mit gerade den früheren Romanen Stephen Kings ist zweifellos gegeben und das ist überhaupt nicht negativ gemeint, denn Chobsky ist mit "Der unsichtbare Freund" das gelungen, was King zur Perfektion beherrscht: eine großartige Geschichte zu erzählen, die es der Leserin und dem Leser unmöglich macht, irgendetwas Anderes in seiner Umgebung wahrzunehmen, als dieses Buch.
Ich bin eine begeisterte Teetrinkerin beim Lesen und kann nicht zählen, wie oft, während der Lektüre zu "Der unsichtbare Freund" der Tee kalt geworden ist, weil es nichts mehr für mich gab, außer diese Geschichte. Außerdem beherrscht Chobsky ebenfalls Kings Talent dicke Schmöker auf den Markt zu werfen, in denen scheinbar kein Wort zu viel zu sein scheint. Obwohl das Buch mit knapp tausend Seiten mehr als umfangreich war, hatte ich nie das Gefühl, dass die Handlung künstlich in die Länge gezogen wurde oder das eine Szene zu viel war, außer natürlich, als die Geschichte sich dem Ende zuneigte und ich unbedingt wissen musste, wie sie ausging. 
Und auch die Figuren in Chobskys Roman hätten ebenso gerade erst aus einem Stephen King Buch gefallen sein können. Nicht nur, dass der Autor seine primäre Handlung ausschließlich mit Kindern besetzte, sondern auch die Nebencharaktere, die diese ganz eigentümlichen Eigenschaften haben, die sie zu etwas ganz Besonderem machen. Obwohl ich an dieser Stelle meine Einschätzung zu 'Stranger things' noch einmal korrigieren muss, denn gerade die Figurenkonstellation und ein Teil der Handlung erinnern dann doch an die Serie, in der ein kleiner Junge unter mysteriösen Umständen verschwand und dann verzweifelt und energisch von seiner Mutter gesucht wurde.
Und dann diese unfassbare Intensität. Es ist lange her, seit ich das letzte Mal von einem Buch geträumt habe. Ehrlich gesagt kann ich mich nur an einen bestimmten Clown erinnern, der vorwiegend in der Kanalisation umherwandert und mich bis in meine Träume verfolgt hat, aber "Der unsichtbare Freund" ist so unglaublich intensiv geschrieben, dass es mich sogar dann nicht losgelassen hat, wenn ich nachts im Bett lag und geschlafen habe. 
Auch wenn Stephen Chobsky in seinem neuen Roman zeigt, dass er nicht nur den Vornamen mit King gemeinsam hat und das auch ganz locker zugibt, schließlich wird der Meister persönlich in der Danksagung erwähnt, ist "Der unsichtbare Freund" eine großartige Geschichte geworden, ein Jahreshighlight, das mich auf jeder Seite begeistert und unterhalten hat.
Unbedingt lesen! 

Mittwoch, 13. November 2019

Sarah Perry- Melmoth




Verlag: Eichborn
Seiten: 337
Erschienen: 30. September 2019
Preis: 24 Euro (Ebook: 14.99 Euro)









Helen lebt ein unscheinbares Leben in der tschechischen Hauptstadt Prag. Alles an ihr scheint absolut gewöhnlich, fast scheint es, als würde Helen sich unsichtbar machen wollen. Als würde sie ihr Leben so weit bedeutungslos machen, dass es nicht mehr auffiel, dass sie es trotz allem weiterlebte. Trotz der unvorstellbaren Schuld, die Helen auf sich geladen hat.
Doch alles ändert sich, als ihr ein geheimnisvolles Manuskript in die Hände fällt. Darin ist von einer mysteriösen Gestalt namens 'Melmoth' die Rede, ein Schreckensmärchen Kindern erzählt, damit sie brav bleiben, aber doch auch immer wieder Gegenstand alter historischer Dokumente. Melmoth, die dazu verdammt wurde ewig auf Erden zu wandeln mit blutigen Füßen und die für immer in Einsamkeit vergeht, es sei denn, du ergreifst ihre Hand, denn Melmoth zeigt sich nur den wahrhaft Verzweifelten, die voller Trauer oder voller Sünde sind. 
Sie beobachtet dich schon lange und wartet nur auf den richtigen Augenblick...

Schon lange vor der Veröffentlichung von "Melmoth", geschrieben von Sarah Perry, habe ich mich auf das Buch gefreut, da der Inhalt eine mysteriöse und vielschichtige Spukgeschichte versprach. Nach der Lektüre von "Melmoth" kann ich bestätigen, dass es jede Menge Grusel bereit hält, doch Sarah Perry geht sogar ein bisschen weiter. Sie erzählt die Geschichte einer Spukgestalt, die aber gleichzeitig auch eine moralische Leitfigur darstellt. Denn verfolgt von Melmoth werden nur diejenigen, die große Trauer empfinden und einen Ausweg suchen oder große Schuld auf sich geladen haben und nicht mehr mit dieser leben können. Aus diesem Grund wird 'Melmoth' auch die Zeugin genannt, denn sie gibt Zeugnis über das Leben der Verfolgten ab und konfrontiert sie mit ihrer Trauer und ihrer Schuld. Natürlich hat 'Melmoth' nicht nur die Eigenschaften eines moralischen Kompasses, sondern auch die klassischen Züge der obligatorischen Gruselfigur mit einem, im Wind wehenden, gruseligen Gewand, auch wenn eigentlich kein Wind weht, und der Eigenart immer dann in Situationen aufzutauchen, in der man generell nicht mit gruseligen Spukgestalten umgehen kann, beispielsweise, wenn sie nachts an deinem Bett steht oder in einem Schaukelstuhl am Bett einer Patientin mit tragischem Schicksal in deren Zimmer du aus Versehen gestolpert bist. Und natürlich handelt es sich nicht um irgendeinen Schaukelstuhl, sondern um einen quietschenden.
Damit ist Sarah Perry mit ihrem Roman "Melmoth" ein wirkliches Kunststück gelungen. Sie findet genau die richtige Mischung zwischen Gruselgeschichte und moralischen Begebenheiten, die nicht nur dazu führen, dass man als Leserin oder Leser vollkommen in die Geschichte versinkt, sondern, dass sie nicht nur an einem Punkt nachdenklich stimmt. 
Zugegeben, durch allerlei Zeitsprünge, Figuren- und Zeitebenen Verschiebungen ist "Melmoth" keine Geschichte, die man nebenbei weglesen kann. Durchaus komplex geschrieben, läuft man Gefahr sich in den Worten zu verlieren, doch es lohnt sich dran zu bleiben, denn man wird mit einem Buch belohnt, dass man so schnell nicht vergessen wird. 

Donnerstag, 26. September 2019

Rob Hart - Der Store







Verlag: Heyne
Seiten: 593
Erschienen: 02. September 2019
Preis: 22 Euro (Ebook: 12.99 Euro)







Der Store liefert dir alles, was du brauchst und das in kurzer Zeit.
Der Store schafft Arbeitsplätze, Wohnungen und wird somit dein Lebensinhalt. Deine ersetzte Familie. 
Zinnia und Paxton schaffen den Sprung in die neue Welt, die Welt von 'Cloud'. Ein Vormachtsmonopol in den Vereinigten Staaten auf dem besten Weg die Kontrolle über das ganze Land zu übernehmen und weit darüber hinaus. Zurück lassen die beiden eine Welt, die vom Klimawandel gezeichnet ist und in der das Unternehmen 'Cloud', ihr neuer Arbeitgeber, den gesamten Einzelhandel einstürzen lassen hat. Verlassene Städte, die Geisterstädten gleichen, Arbeitslosigkeit und Armut waren die Folge. Sichere Arbeitsplätze gibt es nur noch bei 'Cloud'. 
Somit hatten die beiden Glück, aber ist das wirklich wahr?
Denn die Welt von 'Cloud' scheint nur auf dem Papier das Wahre zu sein...

"Der Store" lässt uns Klassiker wie "1984" von Orwell und "Schöne neue Welt" von Huxley vergessen. So ähnlich zumindest wurde Rob Harts erster Unterhaltungsroman angekündigt. Nach der Lektüre würde ich nicht behaupten, dass ich die großartigen Vorreiter des klassischen Dystopie-Romans vergessen hätte, aber trotzdem ist Rob Hart mit seiner Geschichte eines Unternehmens, dass quasi die Weltherrschaft übernehmen will, etwas Gutes und Wichtiges gelungen. Man könnte behaupten, er hätte Huxleys und Orwells Geschichten neu erfunden und sie auf unsere heutige Zeit übertragen, sie demnach mit Interaktionspunkten aus unserem Leben verbunden. Denn niemand wird bestreiten, dass wir in der Realität bereits eine abgemilderte Form von dem Unternehmen 'Cloud' haben. Ein Unternehmen, das bereits einen hohen Stellenwert in unserem Leben eingenommen hat und es scheint, dass es immer schlimmer wird, je mehr wir uns dagegen wehren. Auch unseren Innenstädten drohen Verödung und Aussterben, weil der Einzelhandel durch dieses Unternehmen immer mehr einknickt. Auch wenn in unserer Realität der klassische Einzelhandel einen langsameren Verfall widerfährt, als im vorliegenden Roman, ist der fast schon beängstigende Realitätsanspruch, den "Der Store" zweifellos inne hat eben das, er macht Angst. Mit eine vom Klimawandel gezeichneten Welt und Überwachungsmethoden, die nach "1984" in "Der Store" neue Dimensionen erreichen, uns in unserer Realität allerdings überhaupt nicht mehr fremd sind, scheint Rob Harts Darstellung einer vermeintlichen Utopie, eher eine Form unserer eigenen Zukunft darzustellen. Der Sinn und Zweck einer Dystopie ist erreicht, wenn man nach der letzten gelesenen Seite nach draußen laufen will, um den Menschen zu sagen, dass sie aufhören sollen so zu leben, wie sie es tun, wenn das eben Gelesene die Zukunft sein soll, nach der alle so strebsam sehnen. Ich hatte nach der letzten Seite "Der Store" die Schuhe bereits an. 
Rob Hart beweist mit seinem Roman, dass er das Genre 'Dystopie' zur Perfektion beherrscht. "Der Store" ist eine erschreckende, realitätsnahe und großartige Geschichte geworden. Dazu ist es dem Autoren überdies gelungen zwei unheimlich interessante Figuren in seine Geschichte einzuarbeiten, die aus ganz unterschiedlichen Gründen den Weg in die 'Cloud' wählen und ihre Geschichten, trotz einiger Berührungspunkte, verschiedene Wege nehmen. 
Um dem Ganzen zum Schluss die Krone aufzusetzen, bekommt auch noch der Handlungsort des Romans und Heimatland des Autoren Rob Hart, die USA, ihren berüchtigten, schreiberischen Seitenhieb, der in den sogenannten 'Black Friday' Massakern einen fast schon satirischen Höhepunkt findet. 
Eigentlich wird Rob Harts Roman somit zu einer Geschichte, die jeder lesen sollte. Diejenigen, die sich zu viel kümmern und bestärkt werden, dass sie diese Zukunft nicht haben wollen. Und diejenigen, die sich zu wenig kümmern und ins kleinste Detail beschrieben bekommen, auf was sie zusteuern.
Pflichtlektüre! 

Sonntag, 4. August 2019

Ian McEwan - Maschinen wie ich






Verlag: Diogenes
Seiten: 417
Erschienen: 22. Mai 2019
Preis: 25 Euro (Ebook: 21.99 Euro)








Charlie ist in den mittleren Jahren und lebt in einer kleinen Wohnung in London. Als er unerwartet an eine größere Menge Bargeld kommt, entscheidet er sich gegen einen Umzug in eine größere Wohnung und für eine ganz besondere Anschaffung. Er legt sich einen der ersten auf den Markt kommenden Roboter zu. Er trägt den Namen Adam und unterscheidet sich im Aussehen und Verhalten fast nicht mehr von den Menschen, außer, dass er einen Supercomputer im Kopf hat. Zusammen mit seiner Nachbarin Miranda, in die sich Charlie mittlerweile verliebt hat, legen sie gemeinsam Adams Persönlichkeit fest und stolpern in ein Leben mit einer künstlichen Intelligenz. 
Doch wie viel Leben und wie viel Bewusstsein steckt eigentlich in Adam? 
Diese Frage muss sich Charlie stellen, als Adam ihm das Geständnis macht, dass er sich ebenfalls in Miranda verliebt hat und sich zwischen den ungewöhnlichen Protagonisten eine Dreiecksgeschichte entwickelt. 

Schon lange im Vorfeld habe ich mich auf Ian McEwans neuen Roman "Maschinen wie ich" gefreut. Der Inhalt klang ungewöhnlich und ich erwartete eine frische und ebenso ungewöhnliche Geschichte. Und die habe ich bekommen. 
McEwan beschäftigt sich mit einem Thema, das die Menschen schon lange fasziniert hat, künstliche Intelligenzen. Aber er geht noch einen Schritt weiter, in "Maschinen wie ich" erleben wir ein London in den achtziger Jahren, das von Inflation und Arbeitslosigkeit gezeichnet ist. Doch der Grund dafür sind hauptsächlich die Unmengen an Maschinen, die auf den Markt gespült werden und menschliche Arbeit immer mehr ersetzen. Hier ist die Welt in Sachen künstliche Intelligenzen einen erheblichen Schritt weiter, als sie es im wirklichen London der achtziger Jahre gewesen ist. 
Im Mittelpunkt von McEwans Geschichte steht Charlie, ein Mann in den mittleren Jahren, der, nachdem er zu einer großen Menge Bargeld kommt, sich dagegen entscheidet aus seiner trostlosen und viel zu kleinen Wohnung auszuziehen, um sich etwas Größeres zu leisten und stattdessen einen der ersten menschlichen Roboter kauft. An dieser Handlung erkennt man, dass Charlie noch nicht wirklich im Erwachsenenleben angekommen scheint. Er beschwert sich zwar öfter über seine Wohnsituation, doch als er die Möglichkeit bekommt diese zu ändern, entscheidet er sich aus purer und vielleicht auch ein wenig kindlicher Neugier heraus sich ein persönliches Spielzeug zuzulegen. Doch als erst Miranda und dann auch noch Adam in sein Leben treten, ändert sich alles. Zuerst ist da Miranda, seine Nachbarin, für die Charlie Gefühle entwickelt, die er sich selbst nicht ganz erklären kann und auch Miranda bleibt zunächst undurchsichtig und scheint ein Geheimnis mit sich herum zu tragen. Und dann ist da Adam, der wohl prägnanteste und interessanteste 'Charakter' in "Maschinen wie ich", der, während die Handlung voranschreitet ein eigenes Bewusstsein zu entwickeln scheint, das, wie er selbst behauptet, fähig ist nicht nur erstaunliche Leistungen anhand des Supercomputers in seinem Kopf zu produzieren, sondern auch lieben und so etwas wie Moral entwickeln kann. Und genau hierbei erkennt man, warum Ian McEwan mit "Maschinen wie ich" ein Kunststück gelungen ist. 
Der Autor stellt die richtigen und wichtigen Fragen, mit denen wir uns auch in der Realität irgendwann beschäftigen müssen.
Wie viel Bewusstsein kann eine künstliche Intelligenz im täglichen Umgang mit Menschen entwickeln?
Sind sie tatsächlich fähig zu lieben, zu trauern, also Emotionen zu haben, und auf moralische Weise zu handeln?
Was passiert eigentlich mit einen 'Maschinen-Gehirn', das nicht wie bei uns die enorme Menge an vor allem negativer Information, wie Klimawandel, Krieg, Mord etc., herausfiltern kann? Also die Welt, wie grausam sie die meiste Zeit ist, pur und ohne Filter erleben muss?
Und vor allem, was geschieht eigentlich mit der Gesellschaft, wenn uns Maschinen und künstliche Intelligenzen irgendwann ersetzen?
Diese Fragen geht McEwan in seinem neuen Roman an und lässt um sie herum eine interessante und gut konstruierte Handlung entstehen, die "Maschinen wie ich" zu einer unglaublich guten und sehr lesenswerten Lektüre macht.

Sonntag, 28. Juli 2019

Lesemonat Juni

Hier ist mein kleiner und verspäteter Lesemonat Juni. 
Klein aber fein.
Im Juni habe ich insgesamt vier Bücher gelesen mit 1698 Seiten. 
Das sind vergleichsweise eher weniger Bücher, trotzdem war ein echtes Jahreshighlight dabei. Dazu mehr am Ende des Beitrags.

Beginnen wir den Lesemonat mit dem Auftakt der Spiegelreisende Reihe "Die Verlobten des Winters" von Christelle Dabos. Ich war im Vorfeld sehr gespannt auf die Reihe, die einiges versprochen hatte. Insgesamt war es auch ein solider Auftakt. Allerdings gab es doch sehr viele Momente, in denen ich die Geschichte doch sehr langatmig fand, dementsprechend habe ich auch verhältnismäßig sehr lange für das Buch gebraucht. Aber zusammenfassend ist die Grundidee und die Konstruktion der Handlung interessant aufgebaut, so dass ich der Fortsetzung sehr wahrscheinlich eine Chance geben werde. 

Weiter ging es im Juni mit einer eher etwas enttäuschenden Lektüre. Als ich damals den Debütroman von Marc Elsberg gelesen habe, war ich begeistert. "Black Out" war ein mögliches erschreckendes, reales und beängstigendes Zukunftsszenario, in das ein Terroranschlag auf das Stromnetzwerk thematisiert wurde und wie abhängig wir von der Elektrizität sind, ohne uns dem bewusst zu sein. Dementsprechend neugierig war ich auf Elsbergs neustes Werk "Gier- Wie weit würdest du gehen?", in dem der mysteriöse Tod eines Nobelpreisträgers einen unbeteiligten Krankenpfleger zum Gejagten macht. Leider war die Lektüre ebenfalls an vielen Stellen sehr langatmig und aufgrund der Fachsprache auch oft schwer verständlich. So war es sehr mühsam das Buch zu lesen und "Gier" wanderte auf den eher schwächeren Elsberg- Lektürenstapel.

Das nächste Buch aus dem vergangenen Monat hat meine Zuneigung zu einem bestimmten Genre neu entfacht. Das Fantasy-Genre und ich hatten in den letzten Monaten ein paar Probleme, doch dann kam "Mitternacht" von Christoph Marzi und alles war wieder gut. Marzi erschafft in seinem neuen Roman ein frisches und unterhaltsames Fantasy-Szenario, das er in London spielen lässt, einer Stadt, die allein schon durch ihre pure Anwesenheit eine eigene Magie ausstrahlt. Eine Stadt, die fast schon prädestiniert für einen guten Fantasy-Roman steht. Und das ist "Mitternacht", zweifellos. Das Ende mag etwas plötzlich erscheinen, doch im Nachwort schließt Marzi die Möglichkeit einer Fortsetzung nicht aus. Ich freue mich jetzt schon drauf. 

Kommen wir nun zu meinem absoluten Highlight des Monats. "Alles still auf einmal" von Rhiannon Navin ist eine tieftraurige Geschichte. Sie erreicht Stellen in deinem Herzen, von denen du nicht geglaubt hast, dass sie existieren. In "Alles still auf einmal" erzählt ein sechsjähriger Junge namens Zach das Unfassbare, als ein Junge mit einer Waffe in seine Schule kommt und seine Mitschüler und Lehrer erschießt. Zach wird gerettet, doch sein älterer Bruder Andy stirbt bei dem Amoklauf. Fortan lebt Zach in seiner Familie, die vom Schmerz des Verlustes und der Unfassbarkeit der Tat überwältigt ist. Doch anders als die Erwachsenen um sich herum, versteht es Zach mit einer unglaublichen Feinfühligkeit sich in dieser tieftraurigen Situation zurechtzufinden. Ich habe selten bei einem Buch sooft geweint, wie hier. Zach ist ein großartiger Charakter, den man sofort ins Herz schließt, weil er zeigt, dass es auch in dieser unwirklichen und unfassbaren Situation ein bisschen Hoffnung gibt, man muss nur lernen sie zu erkennen. 

Das war er. Mein Lesemonat Juni. Gerade noch rechtzeitig, damit sich der Lesemonat Juli nahtlos anschließen kann. Ich freue mich drauf. 

Mittwoch, 10. Juli 2019

(Lisa schreibt): Über das Recht allein sein zu wollen

Auf meine Mitmenschen wirkte ich an diesen kühlen Sonntagabend fast schon ausgestellt. Als würde ich mich nicht wie sie normal umher bewegen, sondern in einem Käfig hocken mit einem Schild obendrüber und der Aufschrift: 
'Kuriositäten aus aller Welt'. 
Kommen Sie näher, meine Damen und Herren, trauen Sie sich, hier sehen Sie etwas, was es wohl noch nie gegeben hat: 

Eine junge Frau, die alleine ins Kino geht.

An dieser Stelle sollte sich die dramatisch musikalische Untermalung bitte hinzugedacht werden. 
Sie finden, ich übertreibe? Vielleicht, ein bisschen. 
Denn als ich in freudiger Erwartung auf meinen ausgewählten Film an der Kinokasse stand, kam mir überhaupt nicht in den Sinn, dass ich hier etwas tat, was wohl zumindest im kleinstädtischen gesellschaftlichen Kontext nicht unbedingt üblich war. Ich freute mich einfach auf meinen Film, den ich schon seit Wochen schauen wollte, es aber nie ins Kino geschafft hatte und auf den ich nicht in hundert Jahren verzichtet hätte, bloß, weil niemand gerade Zeit gehabt hätte mich zu begleiten. 
Doch als ich, noch ganz hingerissen vom Zauber eines großartigen Films, den Kinosaal verließ, traf ich zufällig auf eine gute Freundin von mir, die standesgemäß begleitet von einer Freundin ihrerseits ebenfalls einen Kinosaal verließ. Nach ein wenig Smalltalk, stellte sie die wohl obligatorische Frage, wenn man sich zufällig in einem Kino begegnete:
"Mit wem bist du denn hier?".
Als ich ihr die für mich normale Antwort nannte, erschien auf ihrem Gesicht jener Ausdruck, der mich für sie offensichtlich in den Kuriositätenkäfig verbannt hatte. Und ob es meiner Einbildungskraft geschuldet war, oder nicht, als ich im Nachhinein den Kinoabend Revue passieren ließ, sind mir doch einige seltsame Blicke aufgefallen, die mir in den Kinosaal gefolgt sind. 
Und aus diesem Grund fordere ich mein Recht allein sein zu wollen ein. 
Wieso ist es eine gesellschaftliche Abweichung vor allem kulturelle Dinge allein machen zu wollen?
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin durchaus gerne in Gesellschaft, egal, ob es sich um einen Kinobesuch handelt oder anderes, doch ich würde niemals auf etwas, das ich gerne unternehmen möchte, verzichten wollen, weil sich niemand gerade an meine Stelle stellen möchte. 
Ich gehe allein ins Kino, auf Konzerte, ich setze mich auch gerne einmal mit einem Buch irgendwo in ein Cafe oder ein Restaurant und- um es ganz auf die Spitze zu treiben- ich verreise auch alleine. Ich verbringe unheimlich gerne Zeit mit mir selbst und ich genieße sie auch ganz bewusst, egal, ob ich mir einen Film im Kino ansehe oder in der Öffentlichkeit meinen hundertfünfzig Meter großen Turm ungelesener Bücher abarbeite. 
Wenn ich daran denke, was ich alles verpasst hätte, weil ich nicht alleine irgendwo hätte hingehen wollen, wären das zu viele wunderbare Abende, wunderschöne Orte oder großartige Filme gewesen. Und das sind doch diese Momente, die das Leben an manchen Tagen ein Stück schöner machen. 

Sollten da draußen also weitere Kuriositäten wie ich herumlaufen, denkt daran, wir können uns zwar nicht sehen, aber fordert euer Recht allein zu sein weiter ein. 
Und sollten Sie uns sehen, wir sind nicht einsam, wir haben gute Freunde und genug gesellschaftliche Kontakte. Wir sind nicht gerade versetzt worden, wir sind an den meisten Tagen völlig normal sozialisierte Menschen, doch es gibt einfach Tage, da wollen wir nur diesen einen Film sehen und da ist es völlig in Ordnung, wenn der Kinositz nebenan leer bleibt.

Ich breche heute übrigens heute Abend auf meinem Kuriositätenkäfig aus und gehe mit einer guten Freundin ins Kino. Doch die nächste Vorstellung im Kuriositätenkabinett lässt sicherlich nicht lange auf sich warten.

Sonntag, 9. Juni 2019

Lesemonat Mai

Hallo, hallo Lesemonat Mai?
Da ist er ja. 
Mein Lesemonat Mai. 
Im vergangenen Monat habe ich insgesamt acht Bücher gelesen mit insgesamt 4133 Seiten. Das ist schon einmal eine ganze Menge. 
Zwei Monatshighlights und - Obacht -  ein Jahreshighlight waren auch dabei. 
Dann kann es ja losgehen. 

Und weil ich heute mal Lust darauf habe, fangen wir einfach mal mit meinem Jahreshighlight aus dem Lesemonat Mai an. Und das war ganz klar: "Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert" von Joel Dicker
Schon lange nicht mehr konnte mich ein Buch so wahnsinnig gut über 733 Seiten hinweg unterhalten. Dickers Debütroman ist an keiner Stelle zäh oder gar langweilig. Jede Situation, jedes Detail ist wichtig und auf der Zielgerade dieser wunderbaren Geschichte ist es fast nicht mehr möglich, das Buch beiseite zu legen. Viele bezeichnen Dickers Roman als einen Krimi, doch er ist viel mehr als das. Egal, ob es um ein Gesellschaftsporträt, der Liebesgeschichte, den charmanten Humor oder um die Macht des geschriebenen Wortes geht, dieses Buch hat für jeden etwas in petto. Eine uneingeschränkte und dringende Leseempfehlung!

Weiter ging es im Mai mit einem kleinen Ende. Wieder einmal. Mit dem siebten Band "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" von Joanne K. Rowling endete auch ein weiteres Reread meines allerliebsten Zauberschülers. Es war mir wieder einmal eine besondere Ehre, dass mir die Türen von Hogwarts ein weiteres Mal geöffnet wurden. Harry bleibt nicht nur meine absolute Lieblingsgeschichte, sondern auch ein alter Freund, den ich immer wieder besuchen kann. Wahrscheinlich wieder im nächsten Jahr, wir sehen uns, Harry. 

Das nächste Buch war Lyrik. Auf Atticus' Gedichtband "Love her wild" habe ich mich schon sehr gefreut, weil ich bisher nur Gutes von der besonderen Wortzusammenstellung des anonymen Künstlers gehört habe. Seine Worte konnten mich dann auch berühren, aber wirklich erreicht haben sie mich trotzdem nicht. Den Grund kann ich nicht benennen. Lyrik hat für mich viel mit den eigenen Gefühlen zu tun und wenn die behandelten Themen in den Gedichten nicht ganz passen, passt es für mich dann wohl auch nicht ganz. Trotzdem kann Atticus mit Worten definitiv umgehen und lässt Wunderschönes entstehen. Meine Lyrikqueen bleibt aber - unangefochten- Amanda Lovelace. 

Weiter ging der Mai mit einem weiteren Reread. Vor fünfzehn Jahren habe ich zum ersten Mal "Neunzehn Minuten" von Jodi Picoult gelesen und auch beim zweiten Mal hat es mich immer noch umgehauen. Dass Picoult gut mit Dramen umgehen kann, ist mittlerweile bekannt, in diesem Fall allerdings macht sie es mit Perfektion. Es geht um einen Amoklauf in einer Schule, bei dem einer der Protagonisten in neunzehn Minuten mehrere Menschen erschießt. In Rückblicken erzählt die Autorin dann, wie es schlussendlich zu der Katastrophe kommen konnte. Dabei richtet sie vor allem den Blick auf den Täter, der jahrelang mit schlimmsten Mobbingattacken konfrontiert wurde. Picoult spielt in ihrer Geschichte mit der Schuldfrage, die sich immer wieder verschiebt. Für mich gehört "Neunzehn Minuten" ganz klar zur Schullektüre und sollte sooft in der Schule gelesen werden, wie möglich.

Im Mai habe ich außerdem mein persönlich erstes Buch von Roxane Gay gelesen. "Hunger- Die Geschichte meines Körpers" stand schon ewig auf Englisch auf meiner Wunschliste. Als ich dann durch Zufall erfuhr, dass es endlich auch auf Deutsch übersetzt wurde, musste ich es endlich lesen. Vielleicht ist "Hunger" keine Geschichte, auf die die Welt gewartet hat, und doch ist sie zweifellos eine wichtige Geschichte und eine, die erzählt werden muss. Als junges Mädchen wird die Autorin, die hier ihre Lebensgeschichte erzählt, von mehreren Jungen vergewaltigt. Sie verschweigt dieses traumatische Erlebnis, das sich mit Gewalt immer mehr Platz im Leben und in der Psyche der Autorin nimmt. Um ihren Körper stärker zu machen und so vor sexueller Gewalt zu schützen, nimmt Roxane Gay immer mehr an Gewicht zu. Konfrontiert mit der Ablehnung der Gesellschaft und alltäglichen Problemen, mit denen adipöse Menschen jeden Tag konfrontiert werden, schafft die Autorin ein Bewusstsein oder ein verändertes Bewusstsein bei ihren Leserinnen und Lesern zu bewirken. Zu diesem Buch gibt es auch eine Rezension von mir zu lesen. "Hunger" gehört definitiv zu meinen Monatshighlights. 

Und wenn wir schon einmal bei Monatshighlights sind, kommt hier noch ein Weiteres hinzu. Mit "Kompass ohne Norden" hat sich Neal Shusterman im letzten Jahr in mein Herz geschrieben. So einen besonderen Roman habe ich schon lange nicht mehr gelesen. Dementsprechend gespannt war ich natürlich auf sein neustes Werk "Dry", das Shusterman dieses Mal zusammen mit seinem Sohn Jarrod geschrieben hat, dem er übrigens "Kompass ohne Norden" gewidmet hat. Im aktuellen Werk der Shustermans geht es um ein dystopisches Szenario, das seine dystopischen Elemente nicht nur im Vorfeld bereits verliert, sondern auch während des Lesens. "Dry" macht Angst, denn eine Situation, in der im kompletten Teil Südkaliforniens plötzlich von einem auf den anderen Moment das Wasser ausgeht und keine Rettung in Sicht ist, liegt schon lange nicht mehr so weit in einer möglichen Zukunft, in der der ein oder andere sich das gerne vorstellen mag. Die Klimaerwärmung ist da. Kalifornien litt mehrere Jahre an einer Dürreperiode, in der chronische Wasserknappheit herrschte und ist sicherlich nicht das einzige Beispiel auf diesen Planeten. Das Buch der Shustermans ist eine Warnung, eine von vielen und vielleicht schon eine, die zu den letzten gehören, wenn wir nicht endlich aufhören so zu tun, als hätten wir einen zweiten Planeten im Kofferraum. 
Unbedingt lesen!

Ich habe es so lange hinausgezögert, wie es geht, weil ich einfach nicht wollte, dass es dem Ende zugeht, doch jetzt konnte ich nicht mehr warten. "Paper Girls 4" von Brian K. Vaughan musste ich endlich lesen. Auch wenn mit dem fünften Teil das Ende dieser geliebten Comic-Reihe diesen Monat bei mir eingezogen ist. Und es war natürlich mal wieder ein einziges wunderbares Abenteuer. Ich habe definitiv mein Herz an die vier Zeitungsmädchen verloren, die mit irren Zeitreisen mich immer wieder begeistern konnten. Natürlich freue ich mich auf den fünften Band, bin aber gleichzeitig auch wirklich traurig. Meine Traurigkeit könnte sich höchstens dadurch mindern lassen, wenn sich Netflix endlich entschließt aus dieser großartigen Comic-Reihe eine Serie zu machen. Ist auf jeden Fall überfällig!

Zum Schluss kommt das dicke Ende. Dieses Mal in Form von Haruki Murakami's über tausend Seiten dickes Werk "1Q84". Es gibt sogar noch eine Fortsetzung dieser sehr umfangreichen Geschichte. Ich bin mir zwar noch nicht ganz sicher, ob ich weiterlesen soll, trotzdem hat mir das vorliegende Buch wirklich gut gefallen. Der berühmte Murakami Geist war schon nach wenigen Minuten in der Lektüre allgegenwärtig. Ich liebe es, wenn man den Stil einer bestimmten Autorin oder eines bestimmten Autoren in Geschichten sofort wiederfindet. Murakami kann man gar nicht beschreiben, den muss man erleben. Für mich gehört er immer noch zu meinen absoluten Lieblingsautoren, was "1Q84" mal wieder eindrucksvoll beweist. 

Und das war es auch schon wieder. 
Mein Lesemonat Mai. Wieder einmal war es bunt gemischt, aber das gefällt mir sowieso am besten. 
Ich freu mich schon auf den nächsten Monat. 

Sonntag, 2. Juni 2019

(Lisa schreibt) Digitalwüste Deutschland

Ich stehe an einem kleinen Bahnhof, der zu einem Dorf gehört, irgendwo im Süden Englands. Die pulsierende Stadt London haben wir schon lange hinter uns gelassen und es geht Richtung Küste ans Meer. Ich warte auf meinen Anschlusszug und frage, wie viel Kilometer verbleiben, bis ich endlich wieder das Wasser sehen kann. Es sind genau neunundsiebzig Kilometer. 
In Zeiten von Smartphone und den unendlichen Weiten des Internets ist es manchmal so einfach Fragen zu beantworten. In gerade mal zehn Sekunden weiß ich, wie viel Strecke ich noch zurücklegen muss, damit ich endlich ans Urlaubsziel komme. Die Bahn kommt pünktlich. Alles läuft nach Plan.

Einige Wochen später hat sich mein entspannter Gesichtsausdruck komplett gewandelt. Mit genervter Miene stehe ich an einem Bahnhof irgendwo in der Nähe von Köln. Mein ursprünglicher Plan eine Freundin in Frankfurt zu besuchen verwandelte sich in eine komplette Katastrophe. Irgendwo hinter Köln hat mich mein Zug, der mich eigentlich per Direktverbindung nach Frankfurt bringen sollte, ausgespuckt und seit einer halben Stunde versuche ich verzweifelt herauszufinden, wo ich bin und vor allem wie ich hier wieder wegkomme. Aus meinen Bemühungen lässt sich leicht eine Zirkusnummer machen, da ich mein Smartphone in alle Richtungen halte und auf dem Bahnsteig von einem Bein auf das andere hüpfe. Es fehlt nur noch die Clownsnase und das Einrad. Auch wenn ich meine reisenden Mitmenschen damit durchaus belustige, bleiben meine Versuche erfolglos. Kein mobiles Netz, kein Internet und somit auch keine Chance herauszufinden, wie ich diesen Ort verlassen kann. 
Am besten, ich kaufe mir Clownsschminke und suche mir einen netten Zirkus zum Mitreisen, bis ich wieder Netz habe.

Trotz auf das Smartphone stierende Zombies, die durch die Innenstädte flanieren und einer Gesellschaftsstruktur, die nur noch aus Digitalisierung zu bestehen scheint, hat es unsere Kanzlerin, Angela Merkel, einmal unfreiwillig auf den Punkt gebracht: Das Internet ist für uns 'Neuland'. 
Während es in anderen Ländern eine Selbstverständlichkeit ist, beim zur Verfügung stellen eines mobilen Netzwerkes keinen Unterschied zu machen, ob man auf ein weites Feld blickt oder gerade das Glück hat sich in einer Stadt zu befinden, traben wir in Deutschland der Digitalisierung hinterher. Als moderner Mensch in einer zivilisierten Gesellschaft ist es fast nicht mehr möglich ohne Internet unterwegs zu sein und doch kann man fast vor dem inneren Auge die ungläubigen Gesichter der älteren politischen Damen und Herren sehen, wenn ihnen eröffnet wird, dass es in anderen Ländern in den Städten überall freies WLAN gibt.
Egal, wo man steht. Und das ganz ohne Hüpfen und Beten. 
Toll, wie die Digitalisierung funktioniert...außerhalb von Deutschland. 

In Deutschland allerdings hat sich der Begriff der 'Digitalwüste' mit Begeisterung durchgesetzt. Nehmen wir das Beispiel der Schulen. 
Schulen, die Bildungseinrichtungen, in denen unsere Hoffnungsträger für die Zukunft ausgebildet werden und da die Digitalisierung außerhalb von Deutschland unaufhaltsam und zügig voranschreitet und bei uns gemächlich dahinfließt, würde man davon ausgehen in den Schulen zumindest ein paar Hoffnungsträger in Sachen Digitalisierung zu finden. Und tatsächlich sind Internet Klassenzimmer mit Tablet Präsentationen und Virtual Reality Brillen keine Seltenheit mehr. Vorbei die Zeiten, in denen Lehrerinnen und Lehrer bereits bei der Programmierung eines Videorekorders verzweifelt die Hände über den Köpfen zusammengeschlagen haben. Jetzt sind unsere Lehrer auf dem neusten Stand der Technik und können ihre Schülerinnen und Schüler den Lernstoff sogar mit Hilfe der virtuellen Realität vermitteln.
Aber ist das wirklich der Fall oder ist die digitale Ausrüstung deutscher Klassenzimmer ein netter Anfang aber noch lange nicht das Ende des Weges?
Ich habe mit einer Lehrerin gesprochen und bestätigt bekommen, dass man sich als Lehrerin oder Lehrer zwar nicht über fehlende digitale Ausrüstung beschweren, der Knackpunkt allerdings bei der Vermittlung besteht, wie man diese Technik sinnvoll in den Unterricht integrieren kann. Es fehlt an kompetenten Schulungen für die, die das Wissen vermitteln. So bleibt digitaler Unterricht meistens auf der Strecke und der gute alter Overheadprojektor kommt wieder zum Einsatz. So werden Lerninhalte auch vermittelt, doch der Digitalisierung hilft es nicht weiter, wenn die nötigen technischen Geräte im Klassenzimmer verstauben. 
Früher, wenn Lehrerinnen und Lehrer bereits bei der Einstellung des Videorekorders verzweifeln, waren es meistens die Schüler, die sie retteten. Dieses Bild hat sich bis ins heutige Jahr gehalten. Das ist im gesellschaftlichen Wandel eine normale Erscheinung, da die Jüngsten bereits von klein auf mit Digitalisierung konfrontiert werden und es den älteren Mitglieder der Gesellschaft immer schwerer fällt mitzuhalten und bei vielen schlichtweg die Bereitschaft fehlt sich mit digitalen Inhalten auseinanderzusetzen. 

Mit der Zeit haben sich in Deutschland also immer mehr digitale Baustellen aufgetan, so dass der Begriff 'Digitalwüste' eine treffende Bezeichnung ist für ein Land, das zwar glaubt im Digitalisierungszug zu sitzen und mitzufahren aber in Wahrheit immer öfter an Bahnhöfen strandet, mitten im Nirgendwo, und verzweifelt hüpfend versucht Netzempfang zu bekommen. 

Dienstag, 21. Mai 2019

Roxane Gay - Hunger (Die Geschichte meines Körpers)







Verlag: btb
Seiten: 321
Erschienen: 22.April 2019
Preis: 22 Euro (Ebook: 14.99 Euro)







Wenn jemand eine Geschichte aus dem eigenen Leben aufschreibt, kann diese Mut machen.Sie kann Trost spenden, sie kann einen selbst empathischer werden lassen der Welt und dir selbst gegenüber. Sie kann dich ein bisschen offener deinen Mitmenschen gegenüber machen. Sie kann dich dazu bringen etwas zu tun, was du vorher niemals gemacht hättest, weil du dich nicht getraut hast oder es dir vielleicht selbst nicht zugetraut hast.
Geschichten, ob nun ausgedacht oder selbst erlebt können so viel möglich machen, denn all das hat Roxane Gays "Hunger- Die Geschichte meines Körpers" mit mir gemacht. 
Roxane Gay hat die Geschichte ihres Körpers aufgeschrieben. Und es ist eine Geschichte, die wehtut. Weil sie möglicherweise noch nicht einmal von der Welt gebraucht wurde, es aber umso wichtiger ist, dass sie trotzdem erzählt wird. "Hunger" beschönigt nichts, die Geschichte knallt die Tatsachen auf den Tisch, ohne Einführung. Sie nimmt die Leserin oder den Leser nicht behutsam an die Hand, um ihn langsam klar zu machen, was sie sagen will. Sie wuchtet eher eine Masse an Emotionen, Selbstmitleid und Verzweiflung an, um sie uns dann vor die Füße zu werfen und zu verkünden, dass das Leben auch so sein kann. Es kann durch ein Erlebnis vollkommen durcheinander geraten und Folgen haben, die wir unser ganzes restliches Leben spüren können. 
Roxane Gays Leben ist geteilt in ein Leben bevor sie mit zwölf Jahren von mehreren Jungen vergewaltigt wurde und in ein Leben danach, in dem sie als traumatisiertes und verängstigtes Kind es nicht wagte mit dem Unrecht und der Gewalt, die ihr angetan wurden sich jemanden anzuvertrauen und stattdessen begann im Essen ihren Trost zu suchen. Davon überzeugt sich einen stärkeren Körper anzuessen, der sich gegen sexuelle Gewalt entweder wehren kann oder überhaupt nicht mehr von männlichen Geschlechtsgenossen wahrgenommen wird, begann Roxane Gay immer mehr zuzunehmen und schildert auf unfassbar ehrliche und selbstreflektierende Art und Weise, wie es sich anfühlt mit einem übergewichtigen Körper seinen Alltag und seinen Geist zu bewältigen. 
Nicht nur einmal habe ich mich als Leserin, die nicht weiß vor was für Herausforderungen und Probleme die Autorin jeden einzelnen Tag gestellt wird, die nicht übergewichtige Menschen mit einer Selbstverständlichkeit begegnen, dass es fast schon wehtut, ertappt gefühlt, weil ich völlig unbewusst manchmal vielleicht schon einmal selbst Vorurteile gemacht oder gedanklich bestätigt habe, ohne zu wissen, was ich da eigentlich tue. Und so trägt dieses unglaubliche wichtige Buch auch zur eigenen Selbstreflexion bei, dass man in manchen Situationen im eigenen Leben zweimal darüber nachdenkt, wenn man etwas sagt oder tut, was seinem Gegenüber möglicherweise verletzten könnte.

In "Hunger-Die Geschichte meines Körpers" hat Roxane Gay einen so unglaublichen Mut bewiesen. Sie hat sich bis auf die allerletzte Hautschicht vor der Welt entblößt. Sie hat Gedanken mit völlig Fremden geteilt, die viele wahrscheinlich noch nicht einmal aus Scham denken würden. Sie hat sich verletz- und angreifbar gemacht und doch gleichzeitig eine so intensive Stärke bewiesen, dass sie alle Superheldinnentitel der Welt verdient hätte.
"Hunger" war mein erstes Buch von Roxane Gay. Aber es wird ganz sicher nicht mein letztes bleiben, denn mit diesem einzigen Geständnis hat sie sich nicht nur in mein Herz geschrieben, sondern ist auch meine Heldin geworden. 
Unbedingt lesen! 

Montag, 13. Mai 2019

Lesemonat April

Hallo Lesemonat April,
im vergangenen Monat habe ich insgesamt sechs Bücher gelesen und es waren zwei echte Highlights dabei. Insgesamt kam ich auf 2161 Seiten. Das waren die Fakten, dann kann es ja losgehen.

"Das Leben ist eins der Härtesten" von Giulia Becker war mein erstes Buch im Lesemonat April und auch direkt eines meiner Highlights. Hier wurde eine ganz zauberhafte, witzige und besondere Geschichte geschrieben. Und obwohl der Titel des Buches besagt, dass das Leben ganz schön hart sein kann, hat es doch diese Geschichte geschafft mein Leben für ein paar Stunden ein bisschen leichter zu machen. Sollte es irgendwann eine Top Ten der liebenswürdigsten Buchcharaktere aller Zeiten geben, Beckers Figuren wären auf jeden Fall ganz oben auf dieser Liste. Es ist schon erstaunlich, wie viel Wunderbares man in 230 Seiten packen kann. Unbedingte Leseempfehlung!

Vom ersten Highlight kommen wir dann direkt zum nächsten. "Kurt" von Sarah Kuttner war schon, bevor ich es schlussendlich gelesen hatte, in aller Munde. Das Buch wurde sooft gelobt, dass ich es irgendwann einfach lesen musste. Und die positiven Stimmen hatten Recht. Kutter hat einen Roman geschrieben, der mich dankbar zurücklässt. Dankbar für die Möglichkeit diese wunderschönen Wörter auf Papier lesen zu dürfen. Ich bin dankbar für den Trost, den diese Geschichte spendet und dafür, dass sie ganz langsam dein Herz erreicht und dort nie wieder verschwindet. Mit einer unfassbaren Einfühlsamkeit beschreibt hier die Autorin das Unfassbare. Etwas, was man gar nicht erfassen und niemals erleben möchte, den Tod des eigenen Kindes. "Kurt" ist voller Liebe und eine Geschichte, die man niemals wieder vergessen wird. 

Weiter ging es im April mit dem Auftakt einer Reihe."Ellingham Academy (Was geschah mit Alice?) von Maureen Johnson kam als Überraschungspost aus dem Loewe Verlag. Die Geschichte hatte ich also vorher nicht richtig auf dem Schirm, der Klappentext klang allerdings sehr vielversprechend und so begann ich zu lesen und wurde sehr positiv überrascht. Der erste Band der Ellingham Academy ist eine Mischung aus Internats- und Detektivgeschichte mit einer unglaublich sympathischen Protagonistin, die einfach Lust auf mehr macht. Der Schauplatz macht einiges her und auch das Ende wartet mit einem gewaltigen Ciffhanger auf, an dem man es spätestens nicht mehr erwarten kann den nächsten Band zu lesen. Ich freue mich schon sehr drauf. Zu diesem Buch habe ich außerdem eine Rezension geschrieben. 

Das nächste Buch kam von meinem Buchblinddate mit dem Literarischen Nerd von Instagram (wenn ihr Florian nicht folgt, holt das auf jeden Fall schnell nach. Aber Vorsicht, eure Wunschliste könnte explodieren. Hier geht's lang!). Und tatsächlich war es ein Buch, von dem ich vorher noch nie etwas gehört habe und ähnlich wie beim vorangegangenen Buch hat mich der Klappentext so neugierig gemacht, dass ich es direkt anfangen musste zu lesen. In "Der Schrecken verliert sich vor Ort" von Monika Held geht es um einen ehemaligen Ausschwitz Insassen, der sich verliebt, sich aber davor fürchtet diese Beziehung voll und ganz einzugehen, weil er das, was er in Ausschwitz erlebt hat natürlich nie wieder vergessen wird. Die Beziehung der beiden wird scheinbar immer von einem Schatten verfolgt und doch versuchen sie immer wieder das Gute zu sehen. Manchmal reichen aber Worte eben alleine nicht aus, um den Inhalt einer Geschichte richtig zusammenzufassen. "Der Schrecken verliert sich vor Ort" muss man lesen. Ohne Wenn und Aber. 

Auf der Zielgerade des Lesemonats April habe ich dann zu "Himbeeren mit Sahne im Ritz" von der wunderbaren Zelda Fitzgerald gegriffen. In diesem, erstmal auf Deutsch veröffentlichten, Kurzgeschichtenband stehen die weiblichen Figuren Fitzgeralds im Mittelpunkt. Sie wollen sich Träume erfüllen, riskieren für die Karriere alles oder schauen wehmütig auf einige Entscheidungen ihres Lebens zurück und auch wenn durchaus Männer in Zeldas Geschichten auftreten, spielen diese eine eher untergeordnete Rolle und wirken nicht nur einmal wie Laiendarsteller. Fitzgerald beschwört in ihren sprachlich außerordentlichen Kurzgeschichten ein ganzes Jahrzehnt herauf, die berühmten goldenen Zwanziger und erweckt das Lebensgefühl, das diese Zeit ausgemacht hat. Auch zu diesem Buch habe ich eine Rezension geschrieben.

Zum Schluss kam dann "Cyril Avery" von John Boyne. Auf fast achthundert Seiten wird hier die Lebensgeschichte von Cyril Avery erzählt. Aufgewachsen bei Adoptiveltern im streng katholischen und konservativen Irland muss sich der Protagonist, aufgrund seiner schon früh entdeckten Homosexualität, ein ganzes Leben vor den verschiedenen Instanzen der Gesellschaft verstecken. Zugegeben, ich habe tatsächlich sehr lange für diese außergewöhnliche Geschichte gebraucht aber ich bin der Überzeugung, dass das auch nötig war. Cyrils Geschichte wird sehr langsam erzählt und doch verliert sie nicht ihre Faszination. Für geduldige Leserinnen und Leser, die eine ganz besondere Lebensgeschichte lesen wollen, ist diese Lektüre genau die Richtige. 

Und das war er schon wieder. Mein Lesemonat April. Zwei Highlights und auch sonst haben mich alle Bücher durchweg gut unterhalten. 
Mal sehen, wie es in Mai weitergeht.
Ich freue mich drauf. 

Dienstag, 7. Mai 2019

Zelda Fitzgerald - Himbeeren mit Sahne im Ritz




Verlag: Penguin
Seiten: 224
Erschienen: 26. September 2016
Preis: 10 Euro (Ebook: 9.99 Euro)







Ein junges Mädchen, die unverhofft von einer Bedienung zur Leinwandkönigin aufsteigt und als man ihr den Erfolg streitig machen will alles daran setzt ihr Recht zu bekommen.
Eine Frau, die ihre berufliche Karriere über alles andere stellt, sogar über die Liebe.
Ein Paar, das von seiner neuen Heimat auf die alte Heimat blickt und vor Wehmut vergeht. 
Das sind nur einige Protagonisten aus "Himbeeren mit Sahne im Ritz", der Kurzgeschichtensammlung der großen Zelda Fitzgerald. In ihren kleinen Wunderwerken lässt die Frau von einem der berühmtesten Schriftsteller der Welt ein längst vergessenes Jahrzehnt wieder auferstehen: Die legendären Roaring Twenties, in der Männer Anzüge trugen und Frauen bunte Kleider mit Federn im Haar. Ein Jahrzehnt, in der das gesamte Leben einer einzigen großen Bühne glich und das ist auch die Atmosphäre in Fitzgeralds Geschichten, auch wenn sie, anders als ihr Mann Scott, eine hauptsächlich weibliche Perspektive einnimmt. Obwohl in den Erzählungen von "Himbeeren mit Sahne im Ritz" durchaus auch männliche Figuren vorkommen, wirken diese doch häufig wie schlecht gecastete Laiendarsteller, die eine untergeordnete Rolle gegenüber Fitzgeralds weiblichen Figuren einnehmen. 
Sie schreibt über Frauen, die ihrer gesellschaftlich aufgezwungenen Stellung geistig längst entwachsen sind. Diese Frauen sind selbstbewusst, sie verkörpern - zumindest gegenüber außenstehenden Personen - eine unabdingbare Stärke und Unerschütterlichkeit. Sie übertreten Grenzen und das meistens vollkommen bewusst, um zu provozieren und das zu bekommen, was sie möchten. 
Doch vor allem spielen diese Frauen die meiste Zeit eine Rolle für die Öffentlichkeit, die ihre Fehler und innere Zerrissenheit nicht sehen soll. Denn die Vielzahl der von Zelda Fitzgerald beschriebenen Charaktere sind gebrochene Persönlichkeiten, die von sich und dem Leben zu viel verlangt haben und in den Kurzgeschichten auf verschiedene Arten und Weisen den Preis dafür zahlen müssen.
Besonders hervorheben möchte ich außerdem die faszinierende Sprache und die Formulierungen, die Fitzgerald benutzt. Viele Sätze muss man tatsächlich mehrmals lesen, um diese in ihrer gesamten Schönheit erfassen zu können und dann möchte man die Stellen markieren, bis man bemerkt, dass man genauso gut das ganze Buch markieren könnte.
Ebenfalls ans Herz legen möchte ich jeder Leserin und jedem Leser von "Himbeeren mit Sahne im Ritz" das Nachwort von Felicitas von Lovenberg, in dem einige interessante Aspekte zu den vorangegangenen Kurzgeschichten zu finden sind, beispielsweise die Tatsache, dass viele von Zeldas Erzählungen unter dem Namen ihres Mannes veröffentlicht wurden und dass ihre Figuren in ihrem Verhalten, das Leben als eine Art Bühne zu betrachten, genau das verkörpern, wofür auch das Leben des Ehepaares Fitzgerald stand und wofür sie weltberühmt wurden. 

"Himbeeren mit Sahne im Ritz" ist eine mehr als gelungene Zeitreise in die Vergangenheit. Ein unterhaltsames Porträt bedeutender und interessanter weiblichen Persönlichkeiten, die jede auf ihre eigene Art und Weise ihre Zeit geprägt hat. 

Mittwoch, 17. April 2019

Maureen Johnson - Ellingham Academy (Was geschah mit Alice?)






Verlag: Loewe
Seiten: 465
Erschienen: 11. Februar 2019
Preis: 18.95 Euro (Ebook: 14.99 Euro)







Stevie kann es nicht fassen. Sie hat eine Zusage der berühmten Ellingham Academy bekommen. Einem renommierten Internat mitten in den dichten Wäldern Vermonts. Hier kann sie ihren Stundenplan ganz individuell gestalten und ihn auf ihre persönlichen Stärken abstimmen. 
Und Stevies größte Stärke ist ihre detektivische Ader. Sie kennt fast alle Detektivromane, die jemals geschrieben wurden. Außerdem hat sie sich auch mit dem wissenschaftlichen Teil hinreichend auseinander gesetzt. Stevies größter Traum ist es später einmal beim FBI zu arbeiten und sie kommt an die Ellingham Academy mit einem großen Vorhaben: Das Verbrechen aufzuklären, das einst vor vielen Jahren den Gründer der Schule und seine Familie heimgesucht hat. Doch nach einiger Zeit an ihrer neuen Schule, gerät Stevie plötzlich in ein ganz aktuelles Verbrechen, als ein Mitschüler tot aufgefunden wird...

Der erste Teil der 'Ellingham Academy' Reihe "Was geschah mit Alice?" von Maureen Johnson hat unglaublich viel Spaß gemacht. Spätestens seit einem gewissen Zauberschüler mit Narbe auf der Stirn üben Geschichten, die auf Internaten spielen, sowieso einen eigenartigen Reiz auf mich aus aber nachdem ich in den letzten Jahren eher negative Leseerfahrungen damit gemacht habe, ist 'Ellingham Academy' endlich mal wieder eine Geschichte, die spannend und klug konstruiert geschrieben ist und vor allem für die kommenden Teile einiges verspricht. 

Maureen Johnson lässt ihre Geschichte an einem Ort spielen, der so mit Mythen und Legenden vollgestopft ist, dass ständig eine geheimnisvolle Aura um diesen Ort zu schweben scheint. Eine alte Schule mit einem Jahrzehnte zurückliegenden ungeklärten Verbrechen und mittendrin eine sympathische Heldin, die manchmal etwas überfordert wirkt aber doch nie aufhört für Gerechtigkeit zu kämpfen. 

Auch die kleinen realistischen Seitenhiebe gegenüber der aktuellen amerikanischen Politik haben mir wahnsinnig gut gefallen. Diese findet man vor allem im unmittelbaren Umfeld von Stevies Elternhaus und ihren Eltern. Wer das etwas ausführlicher haben möchte, muss wohl die Geschichte lesen aber ich bin mir sicher, man erhält einige ungewöhnliche Ähnlichkeiten mit dem momentan amtierenden amerikanischen Präsidenten...

'Ellingham Academy' besitzt definitiv den Charme eines klassischen Detektivromans, die Kulisse stimmt und während der Lektüre erhalten die Leserinnen und Leser auch immer wieder kurze Einblicke in die ersten Tage des Internates, also in die Zeit, in der der Gründer der Schule, Albert Ellingham und seine Familie von einem schrecklichen Verbrechen heimgesucht worden sind. Egal, ob in erzählerischen Rückblicken, in FBI Vernehmungsprotokollen oder in einem geheimnisvollen Brief, die Leserinnen und Leser werden immer tiefer in einen Strudel aus Verbrechen und Habgier gezogen und auch der aktuelle Fall, mit dem sich die Protagonistin Stevie unmittelbar konfrontiert sieht, besitzt einiges an Brisanz und Spannung. 

Für mich persönlich sehr interessant waren zudem die Nebenfiguren in 'Ellingham Academy', die auch locker aus einer modernen Version eines Agatha Christie Krimis stammen könnten. Sie besitzen allesamt ihre ganz eigene Art von Individualität, bleiben allerdings auf vielen Strecken so undurchsichtig, dass man sich mehr als einmal fragt, mit welchen Menschen Stevie da eigentlich zur Schule geht.

Ich freue mich bereits jetzt auf die Fortsetzung, da auch das Ende einiges zu bieten hatte und bin gespannt, welche Abenteuer noch auf Stevie warten, wenn die Ellingham Academy zum zweiten Teil ihre Tore öffnet. 

Montag, 8. April 2019

Lesemonat März

Liebe Freunde, 
hier kommt mein Lesemonat März. Im vergangenen Monat habe ich insgesamt zehn Bücher gelesen, ich würde es also als einen sehr erfolgreichen Monat bezeichnen. Insgesamt komme ich auf 3848 Seiten. Die Genres waren - wie immer - bunt gemischt.
Dann hätten wir die Fakten geklärt. Los geht's! 

Begonnen hat der Lesemonat mit dem Horrorthriller "Die letzten Tage des Jack Sparks" von Jason Arnopp. Das Buch habe ich bereits im Vorfeld bei einigen Bloggerkollegen entdeckt und wurde immer neugieriger. Und zum Schluss muss ich sagen, dass ich etwas anderes erwartet habe, von dem Anderen, was ich bekommen habe aber durchaus nicht enttäuscht gewesen bin. Ich habe ein Faible für abgedrehte Geschichten und war damit bei Arnopp an der richtigen Adresse. Das Buch hatte wirklich alles: Spannung, Grusel, eine anständige Prise Humor und eben dieses spezielle Abgedrehte. Ich kam zwar bei einigen Wendungen der Geschichte nicht mit aber schlussendlich habe ich doch alles an die richtige Stelle setzen können und kann das Buch guten Gewissens weiterempfehlen. 

Weiter ging es im März mit dem zweiten Teil der Mortal Engines Reihe "Jagd durch's Eis" von Philip Reeve. Nachdem mir der Auftakt "Krieg der Städte" richtig gut gefallen hat und mit seiner frischen Idee komplett überzeugen konnte, war ich sehr gespannt, was die Fortsetzung bereit hielt. Zunächst einmal war ich überrascht, weil zwischen den beiden Teilen ein kleiner Zeitsprung statt gefunden hat und wie ich gehört habe, soll das auch bei den beiden Nachfolgern so sein. Das hat dem Lesefluss aber nicht geschadet, auch der zweite Band wies mit einer spannenden Handlung auf, auch wenn die sich komplett von der aus dem ersten Band unterschied. Sicherlich ist der zweite Teil einer Buchreihe immer der schwerste aber dem Autoren ist es wirklich gelungen und ich werde auch die restlichen beiden Nachfolger lesen. 

Das nächste Buch war dann ein echtes Monatshighlight. Schon lange habe ich mich auf Joey Goebels Kurzgeschichtenband "Irgendwann wird es gut" gefreut. Nachdem ich vor gut zwei Jahren "Vincent" gelesen habe, das sofort zu eines meiner absoluten Lieblingsbücher geworden ist, habe ich eine Schwäche für diesen wunderbaren Autoren entwickelt. Und meine Vorfreude wurde nicht enttäuscht. "Irgendwann wird es gut" ist voller großartiger Geschichten über Einsamkeit, die Suche nach sich selbst und Menschen, die einfach wie du und ich sind. Menschen, die das Leben an irgendeiner Stelle, die sie wohl selbst nicht benennen können, abhanden gekommen ist und die nun versuchen alles wieder ins Lot zu bringen. Joey Goebels Geschichten sind Balsam für die Seele und ich kann nur vielen von euch empfehlen möglichst viele von ihnen zu lesen. Zu "Irgendwann wird es gut" habe ich auch eine Rezension geschrieben. 

Dann ging es weiter mit einem Buch, auf das ich im Internet aufmerksam wurde, weil es so viele begeisterte Stimmen dazu gab. Und nach der Lektüre kann ich nur sagen: zu Recht. Daniela Krien hat mit "Die Liebe im Ernstfall" einen wunderschönen und einfühlsamen Episodenroman über bestimmte Lebensabschnitte von fünf Frauen geschrieben. Es ist schwer das Buch überhaupt einmal zur Seite zu legen und wenn habe ich das nur getan, um das Notwendigste zu erledigen und schnell wieder weiter zu lesen. Somit war es natürlich in kürzester Zeit ausgelesen. Auch zu "Die Liebe im Ernstfall" habe ich eine Rezension geschrieben. 

Das erste Buch aus dem Lesemonat März war eine abgedrehte Geschichte, das fünfte Buch aus dem Lesemonat März war eine abgedrehte Geschichte. "Scharnow" ist der erste Roman des 'Die Ärzte' Mitglieds Bela B Felsenheimer. Und er hat wirklich alles gegeben. In "Scharnow" geht es um ein kleines brandenburgisches Dorf und die mehr als merkwürdigen Einwohner. Egal, ob es um einen fliegenden Geheimagenten mit nicht so guten Aussichten oder mordlustige Bücher geht, wer glaubt, dass in Scharnow der Hund begraben ist, irrt gewaltig. "Scharnow" ist ein abgefahrenes Abenteuer, das riesig Spaß macht und unglaublich lesenswert ist.

Weiter ging es im März mit einem echten Klassiker. Schon lange stand "Jane Eyre" von Charlotte Bronte auf meiner Klassiker Leseliste. Als ich in Februar nach Südengland geflogen bin musste es dann mit und wie das so mit Klassikern ist, muss man in die Lektüre etwas Zeit investieren, so dass ich das Buch erst im März beenden konnte. Und "Jane Eyre" ist wirklich ein kleines Highlight geworden und das lag schlicht und einfach an der Protagonistin. Jane ist eine unglaublich liebenswürdige Figur, die man sofort ins Herz schließt und mit der man einfach mitleidet, wenn ihr das Leben den ein oder anderen Stein in den Weg legt. Aber vor allem bewundert man ihre unglaubliche Herzensgüte und ihr unbändigen Willen das zu tun, was sie für richtig hält. Jane Eyre gehört auf jeden Fall zu den Vorreiterinnen der prägenden Frauenfiguren und für mich gehört "Jane Eyre" auf jede Klassik-Leseliste. 

Das nächste Buch aus dem Lesemonat war wieder einmal ein viel Besprochenes. Bei Thrillern bin ich immer sehr vorsichtig, weil mich die sich oft wiederholende Erzählstruktur nicht mehr wirklich packen kann, aber "Liebes Kind" von "Romy Hausmann" sollte anders sein, das habe ich mir zumindest sagen lassen. Und nach dem ersten Seiten konnte ich auch zustimmen, da in dem Thriller das atypische Ermittlerduo zumindest schon einmal fehlte und sich das Ganze als ein Entführungsdrama entpuppte, das auch noch mit einer besonderen zeitlichen Erzählweise imponierte. Das war es dann allerdings schon, denn obwohl "Liebes Kind" gute Ansätze hatte, konnte es mich nicht wirklich kriegen. Ich fand es an vielen Stellen doch sehr vorhersehbar und somit gehört Romy Hausmanns Thriller zu den eher enttäuschenden gelesenen Büchern. Ich habe wahrscheinlich einfach zu viel erwartet.

Weiter ging es im März mit einem von mir persönlich lange erwarteten Buch. "Alte weiße Männer. Ein Schlichtungsversuch" von Sophie Passmann war schon lange vor Erscheinungstermin auf meiner Wunschliste. Ich war sehr gespannt, was es mit dem Titel auf sich hatte und wie Sophie Passmann über alte weiße Männer schreiben wollte. Und sie hat es auf eine sehr angenehme, manchmal provozierende und frische Art und Weise getan. In dem Buch kommen verschiedene manchmal bloß vermeintlich weiße Männer, mit denen die Autorin über Feminismus spricht, zu Wort. Oft habe ich seit der Lektüre gelesen, dass Passmanns Buch keine neuen Ansätze im Feminismus Bereich vermittelt, das mag Ansichtssache sein, war aber auch nirgendwo als vermeintliche Intention der Autorin genannt worden. Viel mehr ist "Alte weiße Männer" eine Spurensuche geworden, wen und warum man genau ein männliches Individuum als alten weißen Mann bezeichnet. Was man dagegen machen könnte ein alter weißer Mann zu werden oder ob man sogar einen alten weißen Mann bekehren könnte. Auf jeden Fall lesenswert.

"The Poet X" von Elizabeth Acevedo war mein vorletztes Buch aus dem vergangenen Monat und ich war sehr gespannt, was mich erwarten würde. Die Geschichte der Protagonistin Xiomara wird komplett in Gedichten erzählt, weil es sich um eben jene geheime Leidenschaft handelt, die Xiomara vor ihrer Umwelt und vor allem vor ihrer Familie geheim halten muss, die den größten Konflikt in Xiomaras Leben darstellen. Nach der Lektüre bin ich der Ansicht, dass das Buch auf jeden Fall zu wenig Aufmerksamkeit bekommt, da die Autorin ein schwieriges Thema wunderbar, passend aber auch anders umgesetzt hat. "The Poet X" ist besonders auf jeder Seite und sollte im Jugendbuchbereich mehr beachtet werden. Natürlich pocht man an dieser Stelle auch auf eine deutsche Übersetzung aber wegen der Gedichtform des Romans bin ich in diesem Fall doch etwas zwiegespalten. Auch bei den vielen Poesiebänden, die momentan ins Deutsche übersetzt werden, bin ich kritisch, da ich finde, dass viel von der Wortmagie dabei verloren geht und man solche Dinge vielleicht doch im Original lesen sollte. 

Last but not least habe ich im März eine Reihe angefangen, dessen erste Bände schon länger auf meinem Stapel ungelesener Bücher verweilten. Es handelt sich um den ersten Teil der Stadt der Finsternis Reihe "Die Nacht der Magie" von Ilona Andrews. Die Geschichte ist klassische High Fantasy mit einer sympathischen und starken Heldin, die viel verspricht und Lust auf die Nachfolgebände macht. Da ich diese sowieso hier stehen habe, werde ich wohl auch diese Reihe in absehbarer Zeit weiterlesen. Mal sehen, was mich noch erwartet.

Das war er. Mein Lesemonat März. Sehr umfangreich mit nur einer kleinen Enttäuschung.
Ich freue mich schon auf den April. 

Sonntag, 17. März 2019

Daniela Krien - Die Liebe im Ernstfall






Verlag: Diogenes
Seiten: 288
Erschienen: 27. Februar 2019
Preis: 22 Euro (Ebook: 18.99 Euro)







Das sind die Leben von Paula, Judith, Brida, Malika und Jorinde. Fünf völlig verschiedene Frauen, deren Lebenswege sich auf verschiedene Arten und Weisen immer wieder zu kreuzen scheinen. Sie leben, sie machen Fehler und vor allem lieben sie, ebenfalls auf völlig unterschiedliche Weisen, aber intensiv und vorbehaltlos. 
Ihre Leben finden immer wieder Möglichkeiten sie zu Boden zu werfen, doch die fünf Frauen kämpfen und geben nicht auf und zeigen auf beeindruckende Weise, was für sie Liebe bedeutet. 

Daniela Krien liefert mit "Die Liebe im Ernstfall" ein perfektes Beispiel dafür, wie man es schaffen kann, auf nur wenigen Seiten eine so unglaubliche Intensität aufzubauen, die man fast mit Händen greifen kann. Der Leser wird sofort in die Handlung hineingeworfen, die sich zu Beginn mit dem Leben der Figur 'Paula' beschäftigt. Es gibt keine Einleitung, keinen einführenden Absatz, sofort ist Paula da. Ihr Leben mit all den Höhen und Tiefen, ihre Gefühlswelt, einfach ihr pures und unbändiges Wesen. Und genauso geht es mit den anderen Figuren weiter.

Die Erzählungen über die Leben dieser Frauen, das macht Daniela Krien so sensationell gut, dass man ihr am liebsten ständig applaudieren möchte. Es ist nicht möglich in den Beschreibungen der Lebenswelten dieser Frauen auch nur einmal das Buch sinken zu lassen, geschweige denn es beiseite zu legen. Bloß nach wenigen Seiten ist man bereits in diesen Figuren gefangen, dass es mindestens bis zum nächsten Kapitel dauert, bis man überhaupt wieder halbwegs in die Realität zurückkehren kann. 

Ich habe "Die Liebe im Ernstfall" mehr inhaliert, als gelesen. Dabei hatte ich vor der Lektüre ein ganz anderes Buch erwartet. Ich dachte zunächst , es handle sich um einen Roman, in dem die zeitliche Handlung kapitelweise ineinander greift, dabei ist diese wunderbare Geschichte eher als eine Art Episodenroman zu betrachten, in dem jeweils das Leben einer Frau erzählt wird. Natürlich taucht die ein oder andere Figur noch einmal auf, aber der Fokus liegt immer bei der weiblichen Figur, die auch in der Kapitelüberschrift steht. Dieser Erzählstil ist genau passend gewählt, denn sonst hätte "Die Liebe im Ernstfall" sicherlich nicht so gewirkt, wie das schlussendlich der Fall gewesen war. 

Es geht um Liebe, um Schmerz, um Verlust, Einsamkeit und das sich selbst finden und, wie bereits erwähnt, habe ich diese Themen selten so intensiv erlebt, wie das bei Daniela Krien gewesen ist. Bei jeder einzelnen Figur hatte ich das Gefühl nicht nur vom Geschehen zu lesen, sondern alles emotional nachzuempfinden. So, als würde ich den Protagonistinnen die Hand halten, wenn sie Glück erleben oder vor dem Scherbenhaufen ihres Lebens stehen, diesen dann wieder aufkehren und weitergehen. 
Und genau das ist für mich auch die wichtigste Botschaft der Geschichte. Paula, Judith, Brida, Malika und Jorinde könnten jede von uns sein und trotz ihrer Fehler und den Steinen, denen ihnen das Leben in den Weg legt, machen sie weiter. So wie wir. Weil ein bisschen von ihnen in jede von uns steckt.

Ein großartiger Roman. 
Unbedingt lesen! 

Dienstag, 12. März 2019

Joey Gobel - Irgendwann wird es gut






Verlag: Diogenes
Seiten: 320
Erschienen: 27. Februar 2019
Preis: 22 Euro (Ebook: 18.99 Euro)








Ein junger Mann wartet mit zwei Drinks auf seine Angebetete. Sie kommt pünktlich - im Fernsehen. Ein Junge träumt von Ausbruch und von einer Musikerkarriere, ein Mädchen möchte lieber noch nicht erwachsen werden und in einem Hotel checkt ein junger Mann ein, der ein Abenteuer erleben möchte. Denn sein Leben ist keines. 
Wir treffen ganz normale Menschen, die ihr Leben leben aber das Gefühl nicht unterdrücken können, dass dieses Leben ihnen zu wenig ist. Sie leben in Moberly, einer Kleinstadt in Kentucky und betrachten diese gleichzeitig als Zufluchtsort und Gefängnis. Das sind ihre Geschichten. 

Es gibt Bücher, die warten viel zu lange auf ihren großen Auftritt. Vor ungefähr drei Jahren habe ich ein Buch von meinem Stapel ungelesener Bücher befreit, das "Vincent" hieß. Geschrieben hatte es ein gewisser Joey Goebel. Mein erstes Buch von diesem Autoren. Als ich die ersten Seiten von "Vincent" las, wurde mir schnell klar, dass ich etwas Besonderes in den Händen halte. Und lange bevor ich die letzte Seite von "Vincent" las, wurde es zu eines meiner absoluten Lieblingsbüchern. 

Nun gab es also etwas Neues von diesem wunderbaren Autoren zu lesen, der das ungeheure Talent besitzt seine Figuren so lebendig wirken zu lassen und so einzigartig zu kreieren, dass alles andere neben ihnen verblasst und man jede ihrer Emotionen nachempfindet und immer wieder fühlt. 
"Irgendwann wird es gut" ist ein Kurzgeschichtenband und vor der Lektüre war ich - zugegeben- etwas vorsichtig. Würde es Joey Goebel auch mit Kurzgeschichten schaffen sich so sehr in mein Herz zu schreiben, wie er es mit "Vincent" getan hat? Die Antwort ist einfach und kurz: Ja. 

"Irgendwann wird es gut" ist ein Buch, das man einmal liest und sich sofort verliebt in jede einzelne Figur, weil es Joey Goebel schafft, dass man sofort ein Bild von diesen im Kopf hat, mit das man sich identifiziert. Die Protagonisten der Kurzgeschichten verbindet das permanente Gefühl der Einsamkeit, der Suche nach sich selbst und nach dem Glück, das sich meistens, ihrer Ansicht nach, außerhalb ihrer Reichweite befindet. Man verliebt sich - als Leser - sogar in den, in jeder Geschichte vorkommenden Handlungsort, Moberly, eine verwaiste Kleinstadt in Kentucky, die eigentlich die innere Zerrissenheit der Protagonisten symbolisiert. Sie wollen auf der einen Seite ausbrechen und sehen Moberly als ihr Gefängnis an, das sie daran hindert am wahren Leben außerhalb dieser Kleinstadtwelt teilzunehmen. Auf der anderen Seite allerdings ist immer etwas im Leben dieser Protagonisten, das sie an Moberly bindet und es ihnen unmöglich macht ihre so lang gehegten Pläne in die Tat umzusetzen. Der ein oder andere Protagonist entdeckt in seiner Geschichte sogar eine eigentümliche Schönheit in der Stadt, die sich in besonderen Formen zeigt.

Das hohe Identifikationspotenzial mit Joey Goebels Figuren in "Irgendwann wird es gut" vereint all diese Umstände. Die Figuren scheitern immer wieder, sie sind einsam und haben das Gefühl nicht alles aus ihrem Leben herauszuholen. Das sind Gefühle, mit denen wir uns alle mindestens einmal in unserem Leben auseinander gesetzt haben. Gleichzeitig geben die Protagonisten nicht auf. Sie versuchen alles, um ihrem Leben ein bisschen Glück wiederzugeben oder ihre Träume zu verwirklichen. Sie könnten unsere Nachbarn sein, mit denen wir uns gelegentlich im Treppenhaus oder über den Zaun hinweg unterhalten. Sie könnten unsere Freunde sein, die uns bei einem Bier von ihren Problemen erzählen. Sie könnten wir sein.

Joey Goebel ist mit seinem Kurzgeschichtenband etwas Großartiges gelungen. Ein Buch, das man einmal liest und schon während des Lesens weiß, dass es nicht das letzte Mal ist, dass man danach gegriffen hat. Eine weitere liebenswerte Eigenschaft an "Irgendwann wird es gut" ist zweifellos, dass bereits bekannte Figuren in anderen Geschichten wieder auftreten und das sicherlich noch ein Grund ist das Buch öfter zu lesen, weil man dann erst das ein oder andere 'Easter Egg' in Goebels Erzählungen wiederfindet. 

Am Ende meiner Lobeshymne auf dieses großartige Buch möchte ich dann noch das Interview mit dem Autoren am Ende der Erzählungen empfehlen, das Benedict Wells geführt hat und das einige interessante Aspekte zur Entstehung des Bandes verrät und einfach nur wunderbar ist.