Sonntag, 25. November 2018

Gabriel Tallent - Mein Ein und Alles






Verlag: Penguin
Seiten: 480
Erschienen: 24. September 2018
Preis: 24 Euro (Ebook: 18.99 Euro)






Turtle lebt seit dem Tod ihrer Mutter alleine mit ihrem Vater Martin in den einsamen Wäldern Nordkaliforniens in einem Haus, das definitiv seine besten Jahre hinter sich hat. Einzig Turtles Großvater lebt in der Nähe von Vater und Tochter. 
Martin ist ein durchaus intelligenter aber fanatischer Waffennarr, der der festen Überzeugung ist, dass die von Menschen bevölkerte Erde in sehr naher Zukunft ihrem Ende entgegen steuert. Dementsprechend ist Martins Beziehung zu seiner Tochter von Gewalt, Missbrauch und psychischer Unterdrückung geprägt. Schon in jungen Jahren lernt Turtle von ihrem Vater den Umgang mit allen möglichen Waffentypen. Was sie nicht von ihm lernt, ist der Umgang mit ihren Mitmenschen, denen Turtle konsequent aus dem Weg und somit die Zahl ihrer sozialen Interaktionen gegen null geht. 
Doch alles ändert sich an dem Tag, als Turtle Jacob über den Weg läuft. Jacob, der ihr zeigt, dass das Leben einen größeren Raum besitzt, als die Wäldern, in denen Turtle aufgewachsen ist, ihr heruntergekommenes Zuhause und ihren Vater. Doch Martin wird nicht zulassen, dass Turtle diesen Weg geht, denn sie ist sein Ein und Alles...

Von der ersten Seite an hat mich Gabriel Tallents Debütroman "Mein Ein und Alles" überwältigt. Obwohl Turtles Geschichte nicht aus der Ich-Perspektive erzählt wird, baut der Leser mit einer fast schon beängstigenden Geschwindigkeit eine intensive Beziehung zu der Figur auf. Eine Verbindung, die so tief greift, dass es gerade am Anfang der Geschichte schwer fällt die Seiten zu lesen und alles anzunehmen, was die Zeilen hergeben. Die Intensität ist einfach zu hoch. Fast schon körperlich spürt man Turtles inneren Zwiespalt, der sich zwischen einem radikalen Ausbruch aus ihrem Leben und der krankhaften und fast schon fanatischen Hassliebe zu ihrem Vater bewegt. Obwohl ihre Gefühle nie wirklich beschrieben werden, fühlt man als Leser doch so viel und so intensiv zwischen den Zeilen, dass es schon fast Angst macht.
Und während man im ersten Drittel des Romans versucht an Turtles Seite zu sein, egal wie schwer es fällt und man einfach nicht so viele Seiten am Stück lesen kann, kommt irgendwann ein Punkt in der Geschichte, an dem es kein Zurück mehr gibt. Es geschieht etwas Eigenartiges. Ein unglaublicher Sog entsteht, der den Leser plötzlich an das Buch fesselt. Und während man vorher noch schwer weiterlesen konnte und sich fast zwingen musste, ist es nun unmöglich die Geschichte beiseite zu legen, ohne zu wissen, wie sie enden wird. 
Und Turtle, eigentlich fehlen einem fast die Worte angesichts einer so besonderen und starken Protagonistin. Turtle forder die Leserinnen und Leser dieses Buches immer wieder heraus sie nicht zu mögen. Manchmal scheint es fast, als würde sie sie anschreien, was ihnen denn einfallen würde ihre Geschichte zu lesen, doch wir Leser lassen uns davon schwer beeindrucken. Einfach, weil es uns sehr schwer fällt, Turtle nicht zu mögen, ihr nicht anzumerken, dass sie gerade in dem sozialen Umfeld, das nicht ihren Vater mit einschließt, eine Rolle speilt, die sie jahrelang antrainiert bekommen hat und die sie aber genauso verzweifelt wieder loswerden möchte. Und nicht nur einmal möchte man Turtle in den Arm nehmen, um ihr zu zeigen, dass jemand da ist, der sich wirklich um sie sorgt, auch wenn sie es wahrscheinlich nicht zulassen würde.
Gabriel Tallent hat mit "Mein Ein und Alles" etwas Mutiges gewagt. Er erzählt eine Geschichte, in der fast alle Formen der Gewalt eine zentrale Rolle spielen und die manchmal und wahrscheinlich gerade deswegen schwer zu ertragen ist. Gleichzeitig klagt Tallent die fanatische Waffenvernarrtheit der amerikanischen Bevölkerung an und macht deutlich, dass sie unter dem fadenscheinigen Deckmantel des "Schutz suchen", mit dem das Waffengesetz in den USA am meisten rechtfertigt wird, mehr als einmal diejenigen vergessen, die wirklich Schutz benötigen. Das Ende des Romans greift dieses Motiv dann noch einmal auf und lässt es in einer fast schon absurden, aber wohl absichtlich herbeigeführten Doppelmoral aufleuchten. 
"Mein Ein und Alles" ist somit ein rundum gelungenes Kunststück der Gegenwartsliteratur geworden. Eine Geschichte, die einiges abverlangt aber genauso viel wieder zurückgibt. 

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