Montag, 21. November 2022

Margaret Atwood- Penelope und die zwölf Mägde

 



Penelope und die zwölf Mägde

-Margaret Atwood-




Willkommen zurück in der griechischen Mythologie. Da seht ihr Odysseus, seine Insel Ithaka, da das Schiff, das er wahrscheinlich für seine jahrzehntelange Irrfahrt nach dem Ende des trojanischen Krieges benutzt hat, da immer noch ein paar seekranke Untertanen und die Reste des Gemetzels, das Odysseus, kurz nach dem er sich endlich bequemte nach Hause zu kommen, veranstaltet hat, weil er eben ist, wie er ist und die Belagerung der Freier seines Hofes während seiner langen Abwesenheit vergelten musste. Und dann ist noch sie, sie: Penelope. Der Name ist euch nicht allzu bekannt? Das muss geändert werden, denn heute bekommt Odysseus' Ehefrau ihren längst verdienten und höchst überfälligen großen Auftritt. 

Zurück in die Gegenwart, wir wechseln den Schauplatz und gehen in den Hades, die berüchtigte Unterwelt der griechischen Mythologie. Hier fristet Penelope ihr Dasein, trifft ab und zu alte Bekannte und entschließt sich zu dem, was ihr zu Lebzeiten als Zeitverschwendung erschien, doch jetzt, wo Zeit ausreichend vorhanden ist, als der richtige Augenblick: heute wird die berühmte Geschichte des Odysseus verworfen und ordentlich durchgeschüttelt. Penelope erzählt ihre Geschichte, räumt mit Mythen und zweifelhafter Götterverehrung auf, mit Gerüchten, die sich zahlreich um ihre Person ranken und geht auch ganz zum Anfang, als sie als junges Mädchen von einem Vater, der sie bereits als Kind ertränken wollte, weil sie nicht der begehrte männliche Thronerbe wurde, an den erstbesten Ehemann verschachert wurde, Odysseus, den sie aber doch auf eine verquere Art und Weise lieben lernte. Außerdem erzählt Penelope die Geschichte ihrer zwölf Mägde, völlig verloren gegangen in der griechischen Chronik. Diese Mägde, die Penelope zwar als etwas naiv, aber doch treu ergeben beschreibt, mit denen sie gegen die Belagerer ihres Hofes rebellierte und die ihre wichtigsten Stützen während der langen Abwesenheit ihres Mannes waren, wurden mit den Freiern und Belagerern des Hofes ebenfalls kurz nach Odysseus' Rückkehr zum Tode verurteilt, wegen angeblicher Unzucht.

Auch wenn die Autorin Margaret Atwood die Mägde in ihrer Interpretation dieses Stücks Geschichte im klassischen Gewand auftreten lässt, nämlich singend als Chor, hat sie mit "Penelope und die zwölf Mägde" ein modernes Glanzstück geschaffen. Eine unglaublich unterhaltsame und gelungene Neuinterpretation, erzählt aus weiblicher Sicht ohne ein Blatt vor dem Mund zu nehmen. 

Am Anfang hatte ich keine Ahnung, worauf ich mich einlasse und war dann sofort überrascht über die unglaubliche Nahbarkeit von Penelope, ihrer eigentlich fast absurden Kindheit und auch ihr ständiger Konkurrenzkampf mit ihrer schönen aber unglaublich gehässigen Cousine Helena, die bekanntlich mit ihrer Flucht zusammen mit einem jungen Schönling namens Paris, erst den Trojanischen Krieg auslöste, der Odysseus zwang seine Insel Ithaka und seine Frau Penelope zu verlassen. Und natürlich war ich auch überrascht über die Geschichte der zwölf Mägde, die mir bis dahin völlig unbekannt war. Atwoods Blick auf Ithaka, durch Penelope, ist eine Mischung aus Rationalität, eine Geschichte weiblichen Zusammenhalts, sie ist aber auch selbstkritisch, vor allem in den Momenten, in denen Penelope im Hades in sich hineinhorcht und sich eine nicht unerhebliche Mitschuld am Tod der zwölf Mägde gibt. 

Am Ende verlässt Atwood dann mit Penelope zusammen ganz den fiktionalen Bereich und stellt die Frage, wie viel von Odysseus auch heute noch der männliche Teil der Bevölkerung in sich trägt. Die Entmystifizierung eines Helden in ihrer reinsten Form.

"Penelope und die zwölf Mägde" ist also nicht nur unglaublich unterhaltsam, sondern auch lehrreich, es erweitert den eigenen Horizont und lässt einen ganz anders nicht nur auf Odysseus, sondern auch auf andere Heldengeschichten blicken. Außerdem ist Penelope mit ihrem messerscharfen Verstand, Intelligenz, eine Eigenschaft, die bei Frauen in der griechischen Mythologie übrigens auch keinen hohen Stellenwert hat- wie überraschend-, ihrer herrlich saloppen Art und ihrer Nahbarkeit die perfekte Figur, um uns im Hades ihre Sicht der berühmten Geschichte ihres Mannes erzählen zu lassen und diese ist es wert gehört zu werden.

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