Mittwoch, 5. Juli 2017

Margaret Atwood - Das Herz kommt zuletzt



Verlag: berlin Verlag
Seiten: 400
Erschienen: 03. April 2017
Preis: 22 Euro (Ebook: 17.99 Euro)






Stan und Charmaine sind ein nettes und ganz normales Ehepaar. Durch die Wirtschaftskrise in Not geraten, fristen sie momentan allerdings ein trostloses Dasein in ihrem Auto. Ein Auto, als Wohnort, ist, in einem aus den Fugen geratenem Land, in dem die normalen Gesetze nicht mehr gelten und Kriminalität an der Tagesordnung ist, nicht unbedingt der ideale Rückzugsort. Aus diesem Grund entscheiden sich Stan und Charmaine relativ schnell für das Positron Projekt, ein soziales Experiment, das Sicherheit und geregelte Verhältnisse verspricht. Die Bedingungen des Projekts sind allerdings höchst fragwürdig. Jeden Monat wohnen die Bewohner der streng bewachten und abgeriegelten Stadt Consilience einmal in einem Haus, das ihnen zur Verfügung gestellt wird und einmal in einem Gefängnis, in dem sie den Status eines Gefangenen einnehmen. 
In ihrer Anfangszeit in Consilience läuft es bei Stan und Charmaine gut. Sie genießen ihr sorgenfreies Leben in ihrem neuen Haus, nichts ahnend, dass sie beide, unabhängig voneinander, eine sexuelle Obsession für ihre Hauspartner entwickeln, also dem Ehepaar, das ihr Haus bewohnt, während sich Stan und Charmaine im Gefängnis befinden. Doch dann geschieht das, was nie passieren sollte. Durch einen Fehler befinden sich die beiden plötzlich in verschiedenen Zyklen und die Ereignisse in Consilience beginnen sich zu überschlagen...

"Das Herz kommt zuletzt" von Margaret Atwood war mein bereits dritter gelesener Roman der Autorin. Ich bin demnach fleißig dabei meine Bildungslücke im Atwood Bereich zu schließen.
Zunächst hat mich der ungewöhnliche Klappentext des Romans auf die Geschichte aufmerksam gemacht. Ich wusste nicht, was mich erwarten würde. Ein Gesellschaftsroman? Eine Dystopie oder doch eher eine Liebesgeschichte? Nach der Lektüre von "Das Herz kommt zuletzt" kann ich nun sagen, dass es in Stans und Charmaines Geschichte um alles ein bisschen geht. Die Wirtschaftskrise hat das Land in großes Chaos gestürzt. Orte, an denen früher das pure Leben herrschte, gleichen nun einer Geisterstadt. Die bekannten Gesetze sind außer Kraft gesetzt und auf den Straßen herrscht Kriminalität und das Recht des Stärkeren. In dieser Welt verwandelt sich das Projekt Positron, anfangs als klassische Utopie gedacht, ganz schnell in eine Dystopie. Vor allem, weil die beiden Protagonisten nach und nach hinter die Fassaden des Projektes blicken und mit der unangenehmen Wahrheit konfrontiert werden. Stan und Charmaine fungieren dann dazu als Hauptfiguren der Liebesgeschichte, die allerdings auch nicht den Lauf nimmt, den man bei Liebesgeschichten normalerweise annehmen würde. Und dann ist da natürlich noch der Gesellschaftsroman, der sich, typisch Atwood mäßig, darin äußert, dass sich in "Das Herz kommt zuletzt" Gesellschaftsanklage an Gesellschaftsanklage reiht. Atwood lässt ein normales Paar in eine Extremsituation geraten und bietet ihnen, als scheinbar einzigen Ausweg, eine rettende Insel an, die sich aber schnell ebenfalls als Extremsituation entpuppt. Doch nur weil die Protagonisten hinter die Fassade des Projektes blicken, bedeutet das nicht automatisch, dass sie zu klassischen Helden avancieren, die einander und dann auch noch den Tag retten. Viel mehr symbolisieren Stan und Charmaine das musterhafte Profil eines Menschen, der sich um jeden Preis anpassen will. Jemand, der vielleicht viel redet und sich viel vornimmt, das aber nicht umsetzt. Stan und Charmaine sind keine Figuren, die ihr Schicksal in die Hand nehmen und etwas daran ändern möchten, sondern die sich von dominanten Persönlichkeiten führen lassen. Vom Verhalten der Protagonisten ausgehend, hat mich dann das Ende der Geschichte nicht weiter überrascht. 
Margaret Atwood konnte mich auch mit diesen Roman begeistern. Böse und scharfsinnig hält sie der Gesellschaft permanent einen Spiegel vor. Einer Gesellschaft, die nach Perfektion strebt und durch ihre eigenen Fehler immer wieder zurückgeworfen wird. Aber genau hier scheint auch die Botschaft der Geschichte versteckt zu sein und zwar, dass der Mensch nun einmal nicht perfekt ist, dass an diesem Umstand aber nichts auszusetzen ist, so lange man nicht vorgibt etwas zu sein, dass man nicht ist. 
"Das Herz kommt zuletzt" ist verrückt, die Geschichte macht Spaß und stärkt immer mehr den fortwährenden Eindruck, dass Margaret Atwood tatsächlich die coolste Autorin der Welt ist. 

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