Sonntag, 21. Oktober 2018

Buchmesse. Eine Liebeserklärung.

Ach Buchmesse,
erinnerst du dich an deinen Sonntag? Bestimmt erinnerst du dich. 
Sonntags laufen die unzähligen Menschen, die auch schon am Samstag durch deine Hallen und Gänge gewandert sind, noch einmal durch aber dieses Mal mit prall gefüllten Geldbeuteln, um die vielen Schätze, die sie sich am Samstag meistens schon ausgeguckt haben, zu kaufen. Meistens verbringen sie den gesamten Messesamstag damit sich einzureden, dass sie wirklich nur diese drei Bücher, die sie auf ihre Liste gesetzt haben, kaufen würden und kein anderes, weil drei Bücher ja wohl reichen würden. An deinem Sonntag spazieren genau diese Menschen mit einem verstohlenen Blick zum Ausgang, damit auch ja niemandem die riesige Büchertasche auffällt, die sie beim Hereingehen noch nicht dabei hatten. 
Ach Buchmesse,
an deinem Sonntag war meine Schrittzähler App auf meinem Handy wirklich stolz auf mich, denn knapp 20 000 Schritte, also insgesamt vierzehn Kilometer zählt sie wohl auch nur an einigen wundervollen Tagen im Oktober. 
Buchmesse, du bist anstrengend, das steht außer Frage. Klar, an den Fachbesuchertagen kann man sich eigentlich noch ganz entspannt durch deine Hallen hindurch bewegen, doch spätestens am Samstag wird es voll, laut und in diesem Jahr auch noch ungewöhnlich warm. 
Aber weißt du was? Deinen Zauber, der mich nun schon zum vierten Mal hintereinander zu dir geführt hat, wirst du wohl nie verlieren. 
Als wohl größte Buchhandlung der Welt hast du sowieso so viel Magie in dir, dass ich mich nicht wundern würde, wenn an einigen Stellen Funken fliegen würden. Und klar, du bist anstrengend aber es gibt Anstrengungen im Leben, die zu einem so wohligen Gefühl der Zufriedenheit und Wärme führen, dass sie es wert sind jedes Jahr in Angriff genommen zu werden. Natürlich sagt jeder von uns mindestens einmal während der Messezeit:
"Das mache ich nächstes Jahr nicht mehr mit!"
Aber seien wir doch mal ehrlich? Im darauffolgendem Jahr fahren wir wieder mit Begeisterung nach Frankfurt. 
Buchmesse bedeutet nicht nur die größte Buchhandlung der Welt. In Frankfurt treffen wir auf ganze Horden von Autoren, also die Heldinnen und Helden, die uns so vorbehaltlos an ihren großartigen Geschichten teilhaben lassen. Wir dürfen uns von ihnen unsere Bücher signieren und Fotos mit ihnen machen lassen. Vielleicht ist auch das ein oder andere kleine Gespräch möglich. Oder man steht in der Nähe von ihnen irgendwo schüchtern am Rand herum, weil die aufrichtige innere Verehrung dieses Menschen dann doch überwogen hat. Alles ist möglich. Es ist auch möglich einige von ihnen in die Arme zu schließen, weil sie längst zu Freunden geworden sind. 
Und wo wir gerade bei Freunden sind. 
Liebe Buchmesse, 
du gibst uns einen Ort, an dem wir alle vereint sind. Wir Büchermenschen, die genau wissen, wie es ist, wenn die Lieblingsautorin oder der Lieblingsautor ein neues Buch veröffentlicht und wir es mit klopfendem Herzen endlich in den Händen halten dürfen. Wir Büchermenschen, die genau wissen, wie es sich anfühlt, wenn eine Geschichte so überwältigend und großartig erzählt wird, dass man sie in die Welt hinaustragen möchte, damit möglichst viele Menschen sie ebenfalls lesen. 
Kein Wunder, dass bei dir eine immerwährende Verbundenheit zwischen Menschen herrscht, die sich vorher noch nie getroffen haben und dass bei dir Freundschaften geschlossen werden, die das Potenzial haben ein ganzes Leben zu halten. 
Ich weiß, dass du auch nicht nur deine guten Seiten hast, liebe Buchmesse. Dass in den letzten Jahren Verlage und Menschen versuchen rechtes Gedankengut, während deiner Messetage, die doch immer für Vielfalt, für ein buntes und friedliches Miteinander und für Intellektualität stehen, zu vertreiben. Doch ich weiß auch, dass wir mehr sind und dass wir nicht zulassen werden, dass solche Dinge wie Rassismus oder Hass bei dir im Vordergrund stehen. 
Liebe Buchmesse,
ich freue mich schon im nächsten Jahr meinen Schrittrekord noch einmal zu überbieten, wahrscheinlich dieses Mal mit drei heimlich zusammengekauften und von der Liste leicht abgewichenen Büchertaschen in den Armen. Ich kann das Grinsen schon fast nicht mehr erwarten, dass mich immer überkommt, wenn ich das Messegelände zum ersten Mal betrete. Ich freue mich auf deine Autoren im nächsten Jahr, alte und neue und vielleicht auch dieses Mal Benedict Wells, bei dem ich aber wohl eher zu der Fraktion gehören werde, die schüchtern irgendwo am Rand herumsteht und möglicherweise einmal ein heimliches Lächeln riskiert. Ich freue mich sogar darauf, wie mich im jedem Jahr darüber aufzuregen, warum ein gewisser Herr Sebastian Fitzek sein neues Buch eigentlich immer erst kurz nach der Buchmesse veröffentlicht. 
Ich freue mich auf alte und neue Freunde, auf neue Bekanntschaften, auf tolle Gespräche, interessante Veranstaltungen und auf die Bücher, die ich kaufen werde und natürlich auch auf die ungefähr achttausend Bücher, die während und nach der Messe auf meiner Wunschliste landen, denn ein bisschen Vernunft muss ja auch dabei sein.
Ich freue mich auf deine Vielfalt, dein freundliches und friedliches Miteinander und auf deine Menschen. 
Bis nächstes Jahr! 

Dienstag, 9. Oktober 2018

Muriel Spark - Die Blütezeit der Miss Jean Brodie






Verlag: Diogenes
Seiten: 240
Erschienen: 29. August 2018
Preis: 24 Euro (Ebook: 20.99 Euro)







Miss Jean Brodie unterrichtet an einer schottischen Mädchenschule in Edinburgh in den dreißiger Jahren. Mit ihren unkoventionellen Lehrmethoden sorgt die Lehrerin bei dem Rest des Kollegiums immer für ordentlich Gesprächsstoff und die Direktorin der Schule hat nicht nur einmal versucht Miss Brodie irgendetwas zu unterstellen, damit sie diese entlassen kann. 
Doch Miss Brodie lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen und macht unbeeindruckt mit ihren unüblichen Unterricht weiter. Ihr unermüdliches Selbstvertrauen rührt vor allem daher, dass der Großteil von ihren Schülerinnen Miss Brodie über alle Maßen verehren, vor allem eine besondere Gruppe von Mädchen, die sogenannte 'Brodie-Clique', die das Exklusivrecht genießt besonders viel Zeit mit der Lehrerin verbringen zu dürfen. 
Doch ausgerechnet eine dieser besonderen Schülerinnen vollbringt das Unvollstellbare: Sie verrät Miss Brodie an die Direktorin...

"Die Blütezeit der Miss Jean Brodie" von Muriel Spark erschien erstmals 1961 und wurde nun vom Diogenes Verlag in frischer Aufmachung neu verlegt. Die Geschichte um eine Lehrerin mit unkoventionellen Lehrmethoden an einer schottischen Mädchenschule ist allein schon aus dem Grund etwas Besonderes, weil sie mit den Konventionen und Tabus ihrer zeitlichen Einordnung bricht. Miss Jean Brodie lehrt in den dreißiger Jahren in einem streng katholischen Schottland, in dem junge Mädchen mit Themen wie Liebesbeziehungen oder gar Sexualität normalerweise überhaupt nicht in Berührung kommen. Muriel Spark allerdings erzählt in "Die Blütezeit der Miss Jean Brodie" eine Geschichte, die von diesen Themen geradezu beherrscht wird. Sei es die ständige Thematisierung der Dreiecksgeschichte zwischen Miss Brodie und zwei ihrer männlichen Lehrerkollegen, von denen einer sogar verheiratet ist, oder die ständigen Mutmaßungen über eben diese Dreiecksgeschichte der Schülerinnen der 'Brodie-Clique', die unweigerlich dazu führen, dass sich die jungen Frauen selbst mit ihrer eigenen Sexualität beschäftigen, überall scheint dieses Thema präsent zu sein. 
Zudem ist Miss Brodie selbst eine Figur, die literarisch höchst interessant ist. Ohne den Kontext der eigentlichen Geschichte zu kennen, würde man, als Leser, die Sympathien zunächst einmal vorbehaltlos Miss Brodie übergeben. Schließlich ist es weit verbreitet literarische Figuren, die aus der Rolle fallen, erst einmal zu mögen. Während man in die Handlung eintaucht, ändert sich dieser Eindruck allerdings schnell. Als Erstes wären da Miss Brodies politische Ansichten zu erwähnen. Gegenüber der 'Brodie-Clique' gibt sie offen zu den Faschismus gut zu heißen und bezeichnet die parallel laufende Machtübernahme der Nazis in Deutschland als eine gute Sache. Zudem wird, während die Geschichte ihren Lauf nimmt, deutlich, dass Miss Brodie ihren Schülerinnen und vor allem die 'Brodie-Clique' nicht wirklich als menschliche Wesen, sondern eher als eine formbare Masse ansieht, die sie zuallererst nach ihren Vorstellungen gestalten möchte. Nach ihren eigenen Worten möchte Miss Brodie selbst möglichst viel Einfluss auf das Leben ihrer Schülerinnen nehmen. Auch die Art und Weise wie sie einige der Mädchen beschreibt, lässt nicht gerade positive Gefühle gegenüber dieser Hauptfigur aufkommen. 
Trotz dieses Umstandes fällt mein persönlicher Gesamteindruck von "Die Blütezeit der Miss Jean Brodie" sehr gut aus. Die Geschichte besitzt eine ganz eigene Art von Frische, die sich schwer beschreiben lässt. Auch die ständigen Zeitsprünge in der Erzählung, die mir bei vielen anderen Büchern eher negativ auffallen, haben mir hier gut gefallen und den Lesefluss keinesfalls gestört. 
Außerdem hat Muriel Spark das seltsame Kunststück vollbracht auf eigentlich wenigen Seiten sehr viel Geschichte zu erzählen und das macht das Buch zu etwas ganz Besonderem.