Mittwoch, 17. Februar 2021

Monica Hesse - Sie mussten nach links gehen



Verlag: cbj
Seiten: 448
Erschienen: 12. Oktober 2020
Preis: 18 Euro (Ebook: 12.99 Euro)





Das KZ Groß-Rosenau ist befreit und die achtzehnjährige Zofia Lederman findet sich plötzlich in der Nachkriegszeit des zweiten Weltkriegs wieder. Vollkommen traumatisiert von ihren schrecklichen Erlebnissen wird sie zunächst in einem Krankenhaus körperlich so weit wie möglich wieder hergestellt, bevor sie in ihr Heimatland Polen zurückkehrt.
Doch Zofia bleibt dort nicht lange, denn als ihre komplette Familie von den Nazis gefangen genommen wurde, wurden alle Mitglieder von ihrer Familie nach links geschickt, nach Auschwitz in die Gaskammern und in den Tod, außer ihr kleiner Bruder und sie selbst. Und Zofia hat ihren Bruder bei ihrer Trennung ein Versprechen gegeben: dass sie ihn finden würde, egal wo er ist und von jetzt an hat Zofia nur noch das Ziel dieses Versprechen einzulösen. 

Nachdem mich Monica Hesses Debütroman "Das Mädchen im blauen Mantel" vor einiger Zeit umgehauen und unglaublich berührt hat, war ich natürlich sehr gespannt auf ihr zweites Buch "Sie mussten nach links gehen". 
Wieder einmal gelingt es ihr eine vielschichtige, eindringliche und interessante Geschichte zu erzählen. Wieder einmal sind ihre Protagonist*innen und Held*innen junge Menschen, die sich entweder mitten oder in diesem Fall unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg befinden und sich mit ihren persönlichen Schicksalen und Situationen auseinander setzen und zurecht finden müssen. Primär richtet sich Monica Hesse auch mit dieser Geschichte an Jugendliche, an die Generation, die die Schrecken und abscheulichen Verbrechen des zweiten Weltkriegs im besten Fall noch in weit entfernten Geschichten von ihren Großeltern oder sogar Urgroßeltern erzählt bekommen haben und im schlechtesten Fall ein angestaubtes Kapitel darüber in ihrem Schulgeschichtsbuch finden. Sie richtet sich an die Generation, die immer wieder an diese gleichsam traurige als auch bedeutende geschichtliche Epoche erinnert werden sollte, so dass kein Vergessen eintritt und man alte Fehler nicht wiederholt. Und auch wenn sich "Sie mussten nach links gehen" zuerst an junge Menschen richtet, erzählt das Buch auch Leser*innen anderer Altersgruppen eine intensive und eindringliche Geschichte mit einigen Elementen, an die zumindest ich selbst beim Nachdenken über die Zeit des zweiten Weltkriegs nicht gedacht habe. Das liegt vor allem an dem bestimmten Zeitabschnitt, in dem Monica Hesses zweiter Roman spielt: das unmittelbare Eintreten der Nachkriegszeit. Damit assoziiert man zunächst feiernde Soldaten in den Straßen, Orte, die zwar in Trümmern liegen, aber an denen zumindest in kleinen Dosierungen die Hoffnung zurückgekehrt ist. Eine Welt, die unter den Lasten des Kriegs beinahe zusammengebrochen ist und zumindest für den Moment wieder aufatmen kann. Zahlreiche Leben, die mit den Befreiungen der Konzentrationslagern gerettet wurden. Womit diese Zeit allerdings meistens nicht verbunden wird, sind der weiterhin bestehende Antisemitismus, mit denen die zurückgekehrten Opfer der Konzentrationslager unmittelbar bei und nach ihrer Rückkehr konfrontiert werden, unzählige Menschen, die zwar befreit wurden aber ihr gesamtes Leben und ihre Familien verloren haben und nicht wissen, wo sie hin sollen. Auffanglager entstehen für diese Menschen und für diejenigen, die suchen: Verwandte, Bekannte, Freunde, jeden Menschen, mit dem man etwas verbindet und der vielleicht überlebt haben könnte. Und damit wären wir in der Handlung und bei der Protagonistin Zofia und ihrer verzweifelten Suche nach ihrem kleinen Bruder, die sie von Polen zurück nach Deutschland führt, wo sie zu den bereits erwähnten Auffanglagern reist, um ihren Bruder ausfindig zu machen. Monica Hesse hat einige interessante und vielschichtige Charaktere geschaffen, die oft undurchsichtig bleiben und versuchen ihre persönlichen Schicksale mit sich selbst auszumachen. Gerade bei ihrer Hauptfigur gelingt es der Autorin ihre furchtbaren Erlebnisse auf besonders eindringliche Art und Weise zu erzählen, was gerade zum Ende hin dazu führt, das den Leser*innen auch mal die Luft wegbleiben kann. Die Geschichte erzählt von Freundschaft, Hoffnung, das aneinander Festhalten und den Versuch aus einem Trümmerhaufen, in den sich das eigene Leben verwandelt hat, auszubrechen und einen völlig anderen aber neuen Weg einzuschlagen. Dass der sprichwörtliche Funke bei mir persönlich nicht überspringen wollte, ist sicherlich eine rein individuelle Empfindung. Durch den großartigen Debütroman hatte ich möglicherweise zu hohe Erwartungen, die ein zweiter Roman nicht erfüllen konnte. 
Dennoch wurde mir in "Sie mussten nach links gehen" eine neue Perspektive der unmittelbaren Nachkriegszeit gezeigt und mir somit ein völlig neues Gesichtsfeld eröffnet. Aus diesem Grund sollten die Romane von Monica Hesse möglichst viele Menschen lesen, um sich zu erinnern und sich neue Sichtweisen aufzeigen zu lassen. 

Montag, 15. Februar 2021

Amelie Fried - Die Spur des Schweigens




Verlag: Heyne
Seiten: 496
Erschienen: 31. August 2020)
Preis: 22 Euro (Ebook: 12.99 Euro)








Immer am Puls der Zeit. 
Da zu sein, wo etwas Spannendes, Spektakuläres und Informatives geschieht. 
Einen Job, der den Körper und den Geist ausfüllt. 
Genau so hatte sich Julia ihre Journalistenkarriere vorgestellt. Die Realität hat bei diesen wunderbaren Vorstellungen allerdings nicht mitgespielt. Julia ist bei einer Art Gesundheitsmagazin gelandet und schreibt hauptsächlich über zweifelhafte Wunderdiätprodukte oder Hautcremes, die die Haut angeblich um Jahre verjüngen sollen. Auch ihr Privatleben kann man alles andere als erfüllt bezeichnen. Ihre Beziehungen bleiben kurzweilige Abenteuer und seit ihr jüngerer Bruder Robert auf mysteriöse Weise verschwand, ist auch ihre Familie an dem Verlust zerbrochen. 
Aus einem Zufall heraus erhält Julia plötzlich Kenntnis über gehäufte Fälle von sexuellen Übergriffen und Missbrauch an einem renommierten Forschungsinstitut. Immer mehr Betroffene berichten darüber, wie sie von Mitarbeitern des Instituts belästigt wurden. Julia beginnt ihre Recherche und taucht immer weiter in ein Meer aus Korruption und Vertuschung, bis sie das Institut sogar mit dem Verschwinden ihres Bruders in Verbindung bringen kann...

"Die Spur des Schweigens" von Amelie Fried ist ein Roman, der es gut gemeint hat. Eine Protagonistin, die ihr Leben nicht wirklich im Griff zu haben scheint, bekommt die Chance auf die Story ihres Lebens und gibt fortan ihr ganzes Herzblut in die Geschichte, um Verbrechen und Ungerechtigkeiten aufzudecken und das Böse dingfest zu machen. Ein Roman, der wie aus der aktuellen 'me too' Bewegung gefallen zu sein scheint. 
Und obwohl "Die Spur des Schweigens" durchaus eine spannende Geschichte geworden ist, konnte ich es einfach nicht fühlen. Der Funke wollte nicht überspringen. Das lag vor allem an der Protagonistin. Auch in diesem Fall verstehe ich die Intention der Autorin ihre Hauptfigur glaubwürdig gestalten zu wollen. Eine erfolgreiche Top-Journalistin, die noch dazu ein vollkommen glückliches Privatleben hat, hätte auch nicht wirklich zu der Geschichte gepasst. Trotzdem wirkte das Ganze am Ende nicht schlüssig. Einige von Julias Charaktereigenschaften haben mich mehr als einmal den Kopf schütteln lassen, so dass die durchaus gut gemeinte Intention hinter der Hauptfigur fast schon etwas überkonstruiert und somit auch nicht mehr glaubwürdig wirkte. Vor allem in den Situationen, in denen die Protagonistin direkten Kontakt mit den Opfern der Sexualdelikte im Forschungsinstitut hatte, wirkten befremdlich. Es ist kein Problem in solchen Situationen überfordert zu sein, doch in vielen Momenten wirkte die Hauptfigur derart empathielos, dass man den Drang hatte die Arme über den Kopf zusammenzuschlagen. Aber das sind sicherlich individuelle Leseeindrücke und wie bereits erwähnt besitzt Amelie Frieds Roman sehr viel Spannung und eine durchaus gut erzählte Geschichte, die allerdings gerade in den Abschnitten, die mit dem verschwundenen Bruder der Hauptfigur zusammenhängen etwas an Glaubwürdigkeit verliert und auch nicht mit dem eigentlich interessanten Grundthema der Geschichte harmonieren will. Auch wenn ich diesem Fall ebenfalls die Intention hinter diesem Element der Geschichte nachvollziehen kann. Schließlich bekommt der Roman zumindest, wenn man sich vorher mit dem Inhalt beschäftigt, ein mysteriöses Handlungselement und man möchte unbedingt herausfinden, wie die Geschichte des Bruders mit dem primären Handlungsstrang zusammenhängt. Im Endeffekt hätte man es besser weglassen sollen, weil das Grundthema alleine bereits genug Spannung, Brisanz und Aktualität besitzt.
Zusammenfassend kann ich individuell behaupten, dass ich verstanden habe, wie die Geschichte gemeint war, mir die Umsetzung in Teilen leider nicht so gut gefallen hat. Trotzdem bleibt "Die Spur des Schweigens" ein spannender und aktueller Roman, den man durchaus lesen kann. 

Mittwoch, 3. Februar 2021

Lesemonat Januar

 

Hallo Lesemonat Januar, im vergangenen Monat habe ich sieben Bücher gelesen mit insgesamt 2691 Seiten. Ganze vier Monatshighlights waren dabei und zwei Rezensionen, die ich euch noch schulde und nachreichen werde. Los geht's

Monica Hesse - Sie mussten nach links gehen. Nachdem mir der Debütroman der Autorin "Das Mädchen im blauen Mantel" überraschend gut gefallen hat und sogar zu einem Jahreshighlight wurde, war ich sehr gespannt auf ihr zweites Buch. Obwohl dieses nicht ganz an den Vorgänger anknüpfen konnte, beleuchtet Hesse abermals ein wichtiges und interessantes Kapitel des zweiten Weltkrieges, in diesem Fall handelt es sich schon fast um die Nachkriegszeit, als die Protagonistin aus einem KZ befreit wird und sich auf die Suche nach ihrem kleinen Bruder, ihrem einzig noch lebenden Familienmitglied, macht. Zudem ist auch die Zeit, in der der Roman spielt interessant, aus der, überlagert von der Freunde des zu Ende gegangenen Krieges, viel zu wenig erzählt wird. 

Amelie Fried - Die Spur des Schweigens. Obwohl die Protagonistin des Romans an mehr als einer Stelle etwas anstrengend war, hat sich das Gesamtpaket von "Die Spur des Schweigens" sehr gelohnt. Ein eigentlich renommiertes Forschungsinstitut, das immer wieder mit Gerüchten sexueller Übergriffe konfrontiert, aber nie wirklich zur Rechenschaft gezogen wurde oder Beschuldigte in Führungspositionen belangt hätte. Besagte Protagonistin möchte das in einem Artikel ändern und mobilisiert all ihre Kräfte, um das Schweigen von Beschuldigten und Opfern zu brechen. An machen Stellen etwas langatmig, war man doch trotzdem immer gespannt, wie dieser Kampf endet. 

Barry Jonsberg - Gestern ist noch nicht vorbei (Pandora Stone). Auch der Auftakt der 'Pandora Stone' Trilogie hat mich Ende letzten Jahres total überrascht und ich hatte nie wirklich eine Ahnung davon, wohin die unglaublich spannende Geschichte, um ein geheimnisvolles Virus, das den Großteil der Menschheit auslöscht, führen würde. Als der erste Teil dann auch noch mit einem spektakulären Cliffhanger endete, war klar, dass ich auch den zweiten Teil schnell haben musste. Diesen habe ich dann mehr inhaliert als alles andere, weil die Spannung durchgehend aufrecht erhalten wurde und auch hier endete das Ganze mit einem Cliffhanger. Zum dritten und letzten Teil wird der Weg demnach nicht lang sein. 

Katherine Arden - Der Bär und die Nachtigall. Dieses wunderschöne russische Märchen war nicht nur mein erstes Buch im Jahr 2021, sondern auch mein erstes Highlight. Eine unglaublich besondere und charismatische Heldin, die die Leser*innen vom ersten Moment an mit ihrem unbändigen Freigeist einnimmt. Bösewichte, magische Wesen und das alles eingebettet im russischen Niemandsland, "Der Bär und die Nachtigall" ist ein unglaublich besonderes Buch und das Ende macht richtig viel Lust auf die Nachfolger. Der zweite Band steht schon bereit und ich freue mich sehr drauf. 

Matt Haig - The Midnight Library. Stellt euch vor, es gäbe eine Bibliothek, in der all eure möglichen Leben aufgeführt sind, die ihr geführt hättet, wenn ihr Entscheidungen anders getroffen hättet. Das sind eine Menge 'hätte' und doch findet sich genau in so einer Matt Haig's Protagonistin Nora wieder, als sie keinen Sinn mehr in ihrem jetzigem Leben sieht. Der Autor hat ein unglaublich einfühlsames und empathisches Buch über die Frage: 'Was wäre, wenn...?' geschrieben und über das, was im Leben wirklich wichtig ist. Mein zweites Monatshighlight und unter "Die Mitternachtsbibliothek" vor kurzem auch auf Deutsch erschienen. 

Kate Elizabeth Russell - Meine dunkle Vanessa. Auch wenn dieses Buch ein schwer zu ertragendes Highlight war, war es am Ende doch eins. Weil es seine Berechtigung in seiner unglaublich wichtigen Botschaft findet: Hinzusehen und aufmerksam zu sein, wenn in der unmittelbaren Umgebung sexueller Missbrauch statt findet, weil man so das Leben von Menschen ändern und vielleicht sogar retten kann. Bei der Protagonistin Vanessa sahen zu wenig Menschen hin und in den meisten Fällen auch weg und so wurde fast ihr gesamtes Leben von sexuellem Missbrauch, der ihr zum ersten Mal als Fünfzehnjährige widerfährt, beherrscht. 

Maya Angelou - Was für immer mir gehört. Im zweiten Teil ihrer insgesamt siebenbändigen Biografie, geht Maya Angelous unglaubliches Leben weiter. Beschreiben kann man dieses eigentlich nicht, sondern man muss einfach erleben, fühlen, mitlachen, mitweinen und einfach bewundern. Denn das war Maya Angelou: eine unglaubliche, eine bewundernswerte Frau, die scheinbar alles sein konnte, weil sie es einfach machte, anstatt groß darüber nachzudenken. Ich freue mich schon sehr im dritten Band ihrem Lebensweg weiter zu folgen.