Dienstag, 15. Dezember 2020

Maren Gottschalk - Frida

 



Verlag: Goldmann
Seiten: 416
Erschienen: 31. August 2020
Preis: 22 Euro (Ebook: 17.99 Euro)



Es ist das Jahr 1938, als in New York eine Künstlerin ankommt, deren Name weltberühmt werden sollte. 
In Frida Kahlo tobt ein Gewittersturm, ihre Ehe mit dem berühmten Künstler Diego Rivera scheint am Tiefpunkt angekommen zu sein, doch in New York soll ihre erste Einzelausstellung eröffnet werden und schon kurz nach ihrer Ankunft umringen sie Freunde und Bewunderer ihrer Kunst. In New York trifft Frida auch den Fotografen Nick Muray wieder, für den sie, unabhängig ihrer Ehe mit Diego, schon länger tiefe Gefühle hegte. Die beiden beginnen eine stürmische Affäre, die Frida auch auf ihrem weiteren Weg über Paris bis in ihre Heimat, Mexiko, begleitet. 
Über alles, was sich ihr dabei in den Weg stellt, scheint sie hinwegzusteigen und beweist sich immer wieder als schillernde, beeindruckende und charismatische Persönlichkeit und vor allem als unglaublich talentierte und leidenschaftliche Künstlerin. 

Frida Kahlo war eine beeindruckende und leidenschaftliche Künstlerin, um die sich viele Mythen rankten. Das lag vor allem an ihrer intensiven und unwiderstehlichen Ausstrahlung, ihrer Art sich zu kleiden und auch sich gesellschaftlich zu präsentieren, da sie sich nicht nur im Äußerlichen sehr oft von den Frauen in ihrem unmittelbaren Umfeld abhob und unterschied. Maren Gottschalk widmet sich in ihrem Roman "Frida" einer wichtigen Zeitspanne im Leben der begnadeten Künstlerin Ende der Dreißigerjahre, in denen Fridas Reise von New York nach Paris, dann wieder zurück nach New York und schließlich Richtung Heimat führte. Dabei vermischt die Autorin Realität und Fiktion, und schenkt vor allem dem Schauplatz New York besondere Aufmerksamkeit. In der Stadt, die niemals schläft, legt sich der Grundstein für Frida Kahlos weltweitem Erfolg als Malerin in ihrer ersten Einzelausstellung, in New York beginnt Gottschalks Roman und die Stadt ist zudem Schauplatz der großen Liebe zwischen Frida und dem Fotografen Nick Muray. Grandios erzählt sind in "Frida" zudem die Rückblicke in die meist schmerzhafte Vergangenheit der Hauptfigur, die immer wieder zwischen der Haupterzählung eingestreut werden. Frida Kahlos tragischer Unfall im jugendlichen Alter wird thematisiert, der sie zu einem Leben voller Schmerzen verdammte, die Diagnose der Kinderlähmung, die sie als Kind bekam und der schmerzhafte Verrat der eigenen Schwester und ihres Ehemannes Diego, als sich herausstellt, dass die beiden eine Affäre hatten. Aber auch in die Anfänge ihrer unverwechselbaren Malerei erhalten die Leserinnen und Leser einen Einblick. So entsteht eine fast schon intime Beziehung zur Hauptfigur, die nicht nur durch ihren phänomenalen Charakter imponiert, sondern eine so große Stärke demonstriert, die sich durch die von Maren Gottschalk immer wieder beschriebene Einblicke in Fridas Gefühlswelt noch einmal verdeutlicht. Es mag sein, dass gerade diese Passagen der Fiktion des Romans angehören, doch, wenn man Fridas Wesen als Ganzes kennen lernt, dürften diese nicht sehr weit von der Realität entfernt sein. 
Natürlich wird in "Frida" auch der Kunst der Malerin ausreichend gewürdigt. Was ich in dem Zusammenhang besonders schön fand, wie immer wieder die persönliche Beziehung von Frida Kahlo zu ihren Bildern herausgestellt wurde. Daran erkennt man auch zuletzt ihre wunderbarste Eigenschaft: ihre einzigartige, intensive und leidenschaftliche Art zu lieben. Vor allem ihre Kunst, aber auch die Männer in ihrem Leben, was man besonders schön in den immer wieder abgedruckten Liebesbriefen Frida Kahlos an ihren Ehemann, an Nick und an ihrer Schwester erkennt. Nach der Lektüre von "Frida" recherchierte ich aus diesem Grund, ob es vielleicht sogar eine eigene Sammlung der Liebesbriefe Frida Kahlos gibt und glücklicherweise wurde ich fündig. 
Maren Gottschalk ist ein wunderbar erzähltes Porträt einer einzigartigen Künstlerin gelungen. Besonders schön fand ich abschließend die Erklärung der Autorin bezüglich ihrer Vorgehensweise der Vermischung von Realität und Fiktion: genau das hat Frida Kahlo in ihren Bildern auch gemacht. 
Unbedingt lesen! 

Montag, 14. Dezember 2020

John Niven - Die F*ck-it-Liste





Verlag: Heyne Hardcore
Seiten: 320
Erschienen: 12. Oktober 2020
Preis: 22 Euro (Ebook: 15.99 Euro)







Die USA in der nahen Zukunft. Nachdem Donald Trump zwei Amtszeiten durchregiert hat, wurde mit einer überwältigenden Mehrheit seine Tochter Ivanka Trump ins Präsidentenamt gewählt. Die einst Vereinigten Staaten von Amerika sind tief gespalten und mit einer Demokratie hat dieses Land schon lange nichts mehr zu tun. In dieser bedrückenden Atmosphäre erhält der ehemalige Journalist und Chefredakteur Frank Brill eine niederschmetternde Diagnose: Krebs im Endstadium. Doch anstatt in Selbstmitleid und Trauer zu vergehen und den Schock der Diagnose zu verarbeiten, sieht Frank in dieser Nachricht eine Chance. Die Chance einen schon lang gefassten Plan in die Tat umzusetzen...und eine Liste abzuarbeiten...

Noch vor kurzer Zeit schien das fiktive Ausgangsszenario von "Die F*ck-it-Liste", aus der Feder von John Niven durchaus realistisch. Wer weiß schließlich, wie es mit den USA weiter gegangen wäre, wenn es Donald Trump tatsächlich zu einer zweiten Amtszeit geschafft hätte? Da wir uns darüber im wahren Leben nun keine Sorgen mehr machen brauchen, fällt es umso leichter in John Nivens Zeichnung eines fast schon dystopischen Amerikas abzutauchen, in dem er genau das Wirklichkeit werden lässt. Die Amerikaner werden dazu aufgerufen sich jederzeit und überall zu bewaffnen, Abtreibungen sind verboten und werden unter Strafe gestellt, fast jeden Tag scheinen Meldungen von neuen Amokläufen aufzutauchen, Einwanderer, die in Arbeitslagern eingesperrt werden und die Sterblichkeitsrate schießt in die Höhe, weil es immer mehr verzweifelte Frauen gibt, bei denen illegale Abtreibungen vorgenommen werden und die währenddessen oder kurz danach verbluten. In Zusammenhang mit John Niven's "Die F*ck-it-Liste" taucht immer wieder der Begriff 'Satire' auf, doch satirisch ist eigentlich nur die Verwandlung der Hauptfigur vom kleinstädtischen Bürger, der sich noch nie etwas hat zu schulden kommen lassen zum Wild-West-Revolvermann, der genau diese Verwandlung überhaupt vollbringen konnte, weil es sowohl in den von John Niven kreierten Vereinigten Staaten von Amerika, als auch in den realen USA so einfach ist an Waffen und Munition zu kommen, wie noch einmal eben nach Feierabend zwei Liter Milch kaufen zu gehen. Wenn man dieses Buch liest, erscheint es einem einfach: die Handlung ist schlüssig, es ist einfach zu lesen und vielleicht zwischendurch sogar etwas plump, doch es steht so viel zwischen John Nivens Zeilen. Sein Buch ist eine gewaltige Anklage, ein Fingerzeig, ein Spiegel der Gesellschaft, der endlos erscheint, ein so unglaublich eindringlicher Appell an ein Land, das sich gerne als 'freistes Land der Welt' bezeichnet und das sich auf einen gefährlichen Weg begeben hat. 
Und das zu sagen, was John Niven zu sagen hat, das macht er auf großartige Weise, in dem er immer nur ein Stück der Geschichte von Frank Brill, seiner Hauptfigur, vor seinen Leserinnen und Lesern ausbreitet. Immer nur ein kleines bisschen, das einem allerdings umso heftiger den Atem stocken lässt. Das macht er so großartig, weil er immer wieder Wendungen in die Geschichte einbaut, die dann doch fast wieder ein wenig satirisch anmuten und sogar das ein oder andere Mal zum Schmunzeln verleiten. Und das macht er so großartig, weil am Ende seiner Geschichte der absolute Höhepunkt wartet. Der Beweis, das sich bloß eine scheinbar harmlose Entscheidung in etwas nicht mehr Kontrollierbares verwandeln kann. Und wo das große Problem in der Politik und auch der Demokratie liegt. 
Lasst euch also nicht von einer scheinbar vorhersehbaren Handlung täuschen. John Niven's Geschichte kann sehr viel mehr, als sie auf dem ersten Blick zu zeigen scheint. Und sie ist verdammt wichtig. 

Mittwoch, 4. November 2020

Ava Reed- Wenn ich die Augen schließe

 



Verlag: Loewe
Seiten: 320
Erschienen: 08. Oktober 2020
Preis: 14.95 Euro (Ebook: 11.99 Euro)









Die frühen Morgenstunden, eine dunkle Straße, ein voll besetztes und viel zu schnelles Auto und plötzlich ein ohrenbetäubender Knall.
Norah und ihre Freunde sind auf dem Rückweg von einer Party, als das Auto in einem Wildunfall verwickelt wird und von der Straße abkommt. Weil Norah als Einzige nicht angeschnallt war, verletzt sie sich am schwersten und wird in ein künstliches Koma versetzt. Als sie wieder daraus erwacht, sind ihre Eltern und ihre kleine Schwester Lu unendlich dankbar, doch bald schon wundern sie sich auch, als Norah ausgerechnet kurz nach ihrem Aufwachen nach Sam fragt, ihrem Kindheitsfreund, mit dem sie zusammen aufgewachsen ist. Denn eigentlich reden Norah und Sam schon eine ganze Weile nicht mehr miteinander...

Stell dir vor, dir fällt eine Geschichte vor die Füße, die zunächst schnell erzählt zu sein scheint, die du glaubst zu durchschauen und zu wissen, was kommt, doch dann verwandelt sie sich in etwas völlig anderes. 
Ava Reed's neuer Jugendroman "Wenn ich die Augen schließe" beginnt wie vor ihm wohl schon hunderte Jugendromane oder -filme begonnen haben. Ein genervter Teenager, der es nicht erwarten kann von zu Hause zu verschwinden, um mit seinen Freunden auf die Party des Jahres zu gehen. Ein toller Abend, eine durchgefeierte Nacht, der Nachhauseweg, der in einer Katastrophe endet. Schon hier beginnt "Wenn ich die Augen schließe" vom Stereotypischen abzuweichen, denn die Norah, die im Krankenhaus aus dem künstlichen Koma erwacht, ist ein völlig anderer Mensch, als die Norah, die noch vor kurzer Zeit genervt ihre kleine Schwester aus ihrem Zimmer geschmissen hat. Es scheint, als sei ihr gesamtes inneres Wesen durchgeschüttelt worden und die einzelnen Teile liegen verstreut herum. Dass Norah dazu auch noch teilweise an einer Amnesie leidet und auch einzelne Gefühle und Empfindungen überhaupt nicht mehr empfindet oder nicht mehr zuordnen kann, macht das Ganze sicherlich nicht einfacher. Doch sie ist sich sicher, dass Sam ihr würde helfen können, denn schon ihr gesamtes Leben haben die beiden doch irgendwie alles zusammen geschafft. Als Norah aber erfährt, dass Sam und sie schon seit einiger Zeit nicht mehr miteinander reden und schon gar nicht mehr befreundet sind, kann sie das nicht glauben. Sie fragt sich, was für ein Mensch sie vor dem Unfall gewesen und vor allem was zwischen Sam und ihr vorgefallen ist. 
Ava Reed erzählt hier in ihrer gewohnten und intensiven Feinfühligkeit, aber auch mit einer gewissen Raffinesse, denn erst ganz langsam wird die gesamte tragische Weite ihrer Geschichte vor den Leserinnen und Lesern ausgebreitet. Auch ich habe gedacht, dass sich die gesamte Geschichte eigentlich um Norahs Unfall dreht, doch während des Lesens wird deutlich, dass sie eigntlich nur der Auslöser für eine ganze Kette von Ereignissen war, die danach ihren Lauf nahmen. 
"Wenn ich die Augen schließe" ist eine wichtige und berührende Geschichte über Mobbing. Über die Opfer, über die Täter, die in ganz verschiedenen Formen auftreten, über die Hintergründe, über die Folgen und über die Ausmaße, die gerade im Internetzeitalter erschreckende Formen annehmen. Ava Reed lässt in ihrem Roman alle zu Wort kommen, sie beleuchtet dieses wichtige und schwierige Thema von allen Seiten und hätte vielleicht sogar noch ein paar Seiten dran hängen können. Weil wir doch alle irgendwie schon einmal in unserem Leben mit Mobbing in Berührung gekommen sind oder vielleicht sogar immer noch in Berührung kommen. "Wenn ich die Augen schließe" ist somit auch ein Appell, dass es wichtig ist über dieses Thema zu sprechen und es präsent zu halten, um Täter zu identifizieren und um Opfer zu helfen aus ihrer Rolle auszubrechen. Eigentlich um beiden Positionen zu helfen aus ihren Rollen auszubrechen und überhaupt um Hilfe zu bitten. 
Auch wenn "Wenn ich die Augen schließe" einen ernsten und wichtigen Hintergrund hat, war es für mich auch eine Art Wohfühlgeschichte. Weil die Autorin ein Talent hat Schauplätze und einige Nebencharaktere wohlig und sympathisch zu zeichnen, dass man sie irgendwie auch gerne in seinem Leben hätte. Und auch die krasse Wandlung der Hauptfigur vor und nach dem Unfall fand ich sehr gelungen. Erstens, weil ich die Norah davor sowieso nicht gut leiden konnte und zweitens, weil der Mensch zu dem sie nach dem Unfall wurde eigentlich nur eine Fortsetzung des Menschen war, der sie mal gewesen ist und der auch immer noch in ihr steckte. 
Ava Reed's neuer Jugendroman verlässt ziemlich schnell das Stereotypische und wird zu einer tiefer greifenden und wichtigen Geschichte über Mobbing, über die Frage, was für ein Mensch man sein will und was im Leben am meisten zählt. Sehr gelungen und intensiv erzählt. 

Donnerstag, 1. Oktober 2020

Holly Bourne - War's das jetzt?


 


Verlag: dtv-bold
Erschienen: 18. September 2020
Seiten: 416
Preis: 16.90 Euro (Ebook: 14.99 Euro)






Es gibt Situationen, da möchte man in Bücher hineinklettern, man möchte auf geradem Weg zur Hauptfigur marschieren und diese einmal ordentlich durchschütteln, und wenn man diesen Impuls gleich mehrmals hintereinander hat, dann könnte es durchaus sein, dass man es mit "War's das jetzt?" von Holly Bourne zu tun hat. Und das ist keine überspitzte Formulierung, denn Holly Bournes Roman über ihre Hauptfigur Tori, die im äußeren Schein ein Bilderbuchleben in London führt, als über die Landesgrenzen hinaus erfolgreiche Schriftstellerin und in einer glücklichen Langzeitbeziehung befindend, ist eine Herausforderung. 
"War's das jetzt?", das war eine Hassliebe auf der ersten Seite und mir fiel es wahrscheinlich noch nie so schwer ein Buch am Ende wirklich zu bewerten, denn wie fand ich 'War's das jetzt?" eigentlich? Auf der einen Seite ist da mein ständiger Zwiespalt mit der Protagonistin, auf der anderen Seite allerdings das Gefühl komplett in dem Roman versunken zu sein, und ihm seitdem nicht mehr aus dem Kopf zu kriegen. Aber erst einmal der Reihe nach:
Der Inhalt in "War's das jetzt?' ist schnell abgerissen. Es geht um Tori, die in London zusammen mit ihrem Freund Tom in einer Eigentumswohnung lebt. In den Zwanzigern schrieb Tori eine Art Selbstfindungsbuch, das zu einer Bibel für ihre Fangemeinschaft geworden ist und von dem sie auch, mittlerweile kurz vor ihrem 32. Geburtstag, immer noch gut leben kann. Toris beste Freundin heißt Dee, zu Beginn der Geschichte ein chronischer Langzeitsingle, die mit allerlei Datingkatastrophen aufwarten kann und mit der Tori die gleichen Dinge verabscheut, wie Babyparties oder pompöse Hochzeiten in der Natur der Londoner Vororte, bis Dee auf genau einer solcher Hochzeiten plötzlich ihrem Traummann begegnet und ihr Leben eine komplette Wendung nimmt.
Holly Bourne baut ganz bewusst Toris Leben als eines auf, auf das man neidisch sein muss, denn äußerlich scheint Tori alles zu haben, doch zu Beginn des Buches wird schnell deutlich, dass sie eines am besten kann: eine Rolle spielen. Ganz schnell zerbricht die Fassade eines perfekten Lebens und offenbart einiges, was dahinter liegt. Toris beruflicher Erfolg entpuppt sich als laufendes One-Hit-Wonder, denn seit ihrem ersten Buch, das mittlerweile einige Jahre auf dem Buckel hat, hat Tori nichts mehr geschrieben, als Pseudo-Weisheiten bei ihren Signierstunden in einer Widmung, und das Schlimme daran: Sie hat auch keine Idee, ihr Kopf scheint wie leergefegt. 
Und wenn man Tori in ihrer Langzeitbeziehung mit Tom als 'unsicher' bezeichnen würde, wäre das sehr weit untertrieben, denn sie zittert vor Angst. Mit einer unglaublich tief sitzenden Angst davor verlassen und - wohlgemerkt - nicht davor ihren Freund zu verlieren, sondern mit Anfang 30 wieder Single und alleine zu sein, merkt Tori nicht, dass sie sich in einer fast schon nicht mehr zu ertragenden toxischen Beziehung befindet. Das, was Tom jahrelang mit seiner Freundin anstellt, ist emotionale Erpressung der schlimmsten Sorte, die in 'Sexszenen' gipfelt, die an sexuellen Missbrauch grenzen. Diese Szenen der Beziehung konnte ich emotional fast nicht mehr stemmen und musste das Buch weglegen. Ich war enttäuscht, wütend, traurig und empfand entsetzliches Mitleid mit Tori, vor allem, weil sie in ihrem ständigen Wahn ihr perfektes Leben der Außenwelt zu präsentieren sich selbst ihrer Familie und ihrer besten Freundin nicht anvertraut und Tom weiterhin als 'idealen Mann' darstellt.
Holly Bourne schreibt ihren Roman auf so unfassbar ehrliche Art und Weise, dass es weh tut. Es gab Szenen, in denen ich Tori und ihr Handeln auf's Innerste nicht verstanden habe und dann wiederum gab es Situationen, in denen ich mich fast ertappt fühlte, weil ich es so nachvollziehen konnte, wie sie sich fühlte und handelte. Ertappt gefühlt habe ich mich ebenfalls an den Stellen, an denen Holly Bourne mit den Sozialen Medien abrechnet und der Gesellschaft einen Spiegel vorhält. 
Und obwohl ich nach der Lektüre von "War's das jetzt?" kilometerweit entfernt davon war mich glücklich und zufrieden zu fühlen, sondern eher eine tiefe Traurigkeit empfand, war ich doch froh das Buch gelesen zu haben. Holly Bourne hat nicht nur ein unglaubliches Talent dafür mit Worten zu entblößen, sondern schreibt über Themen, die sehr wichtig sind und gerade in Romanen viel zu wenig zur Sprache kommen. Deswegen ist "War's das jetzt?" irgendwie auch eine Art Selbstfindungsbuch, denn genau wie die Hauptfigur Tori rechnet man auch ein wenig mit sich selbst ab, fühlt sich entlastet von der Gesellschaft vorgegebenen Zwangsvorstellungen und reflektiert das eigene Leben. Und das ist manchmal schmerzhaft, aber auch unglaublich befreiend. 

Sonntag, 27. September 2020

Sally Rooney - Normale Menschen

 



Verlag: Luchterhand
Seiten: 320
Erschienen: 17. August 2020
Preis: 20 Euro (Ebook: 15.99 Euro)







Stellt euch vor, ihr lernt zwei Menschen kennen, die unglaublich gut zueinander passen, die sich ergänzen und scheinbar in- und auswendig kennen, auf die jeder - eigentlich normalerweise nervige - Kalenderspruch wie 'jeder Topf hat seinen Deckel' zu passen scheint, und dann merken diese beiden Menschen nicht, wie sehr sie sich in dem jeweils anderen wiederfinden und wie perfekt sie füreinander sind. 
Und schon sind wir mittendrin in Sally Rooneys Roman "Normale Menschen", in der die Autorin von einer Liebesgeschichte erzählt, die aus dem Leben gegriffen zu sein scheint. Wenn man etwas jemals als zeitgenössische Literatur bezeichnen kann, dann dieses Buch.
Es begann ganz unschuldig in der Küche eines viel zu großen Hauses, das mit seiner Ausstattung Außenstehenden sofort klar machen will, dass in diesem Haus das Geld reichlich vorhanden ist, in einer irischen Kleinstadt. Marianne und Connell gehen zusammen zur Schule und damit enden auch schon ihre Gemeinsamkeiten. Es ist nicht nur, dass beide aus völlig verschiedenen Gesellschaftsschichten kommen: Während Marianne das große protzige Haus, in denen sich die beiden Hauptfiguren zum ersten Mal bewusst wahr nehmen, ihr Zuhause nennt, kommt Connell eher daher, was man im allgemeinen Sprachgebrauch wohl 'untere Mittelschicht' bezeichnen würde. Und während Connell der allseits beliebte, mit vielen befreundete und mit noch mehr gut bekannte, Typ ist, ist Marianne dagegen eine krasse Außenseiterin. Doch bei ihrer ersten Unterhaltung entdecken beide, dass viel mehr in den jeweils anderen steckt, als sie vorher geahnt haben, und die Geschichte der beiden beginnt.

Erzählt wird in "Normale Menschen" auf ganz besondere Art und Weise. Wir begleiten Marianne und Connell in bestimmten Zeitabschnitten ihres Lebens, was dazu führt, dass sich ihre Geschichte über mehrere Jahre vor den Leserinnen und Lesern ausbreitet. Durch diesen Erzählstil lässt Sally Rooney sehr viel Raum offen für Interpretationen, da durch die Zeitsprünge vieles vorher Geschehene nicht weiter ausgeführt wird. Dieser Intepretationsraum lässt die Handlung immer unvorhersehbar erscheinen, da man sich teils mit freudigem und teils mit bangem Gefühl fragt, was in der Zwischenzeit passiert sein könnte. Und auch Sally Rooneys Schreibstil hebt sich von bisher Gekanntem ab. Auffällig und ungewöhnlich ist, dass sie die Anführungszeichen vor der wörtlichen Rede weglässt. So allerdings fesselt sie ihre Leserinnen und Leser an ihre Geschichte, denn, wenn man jedes Mal die-oder denjenigen ausfindig machen muss, der gesprochen hat, wird man nicht dazu verführt Abschnitte in der Geschichte querzulesen, sondern sich intensiv mit dem Geschriebenen auseinander zu setzen. 

Aber auch ohne dieses erzählerische Stilmittel ist es fast nicht möglich sich von "Normale Menschen" nicht fesseln zu lassen, denn was für eine unfassbare und intensive Tiefe Sally Rooney ihren beiden Hauptfiguren eingehaucht hat, das ist schon beeindruckend. In der gesamten Geschichte wirken Marianne und Connell immer ein wenig so, als würden sie über den anderen Menschen in ihrem Leben stehen. Sie setzen sich mit einer unglaublichen Intensität mit ihrem eigenen Leben und Themen, die ihre Mitmenschen in ihrem Alter noch oder überhaupt nicht interessieren, auseinander und heben ihren Blick weit über den Tellerrand hinaus. Auf der anderen Seite allerdings wirken sie in ihrem Verhalten sich und einander gegenüber teilweise kindlich und oft auch selbstzerstörerisch, was teilweise aber auch an ihren persönlichen Hintergründen liegt. Connell, der anfangs symapthische und beliebte Typ aus der Schule, zeigt bald, dass er beinahe schon verzweifelt seinen Platz im Leben sucht und einfach nicht fündig wird. Auf der einen Seite möchte er unebdingt dazugehören, fühlt sich aber auf der anderen Seite seinen Mitmenschen überhaupt nicht zugehörig und gerade das Verhalten seiner Freunde auf der Schule gegenüber Marianne, widert ihn an. Marianne, anfangs die krasse Außenseiterin in der Schule, die allerdings wenig Probleme mit dieser Rolle hat, scheint es überhaupt nicht zu interessieren, was ihre Mitmenschen über sie denken. Bald allerdings wird deutlich, dass sie auf der verzweifelten Suche nach Liebe ist und nach jeder weiteren Zurückweisung jeglicher Art ihren eigenen Wert immer mehr in Frage stellt. 
Mariannes und Connells Geschichte, die Wegpunkte, an denen sich ihre Leben berühren sind durchzogen von Missverständnissen aller Art, woran man auch merkt, wie jung sie noch sind und wie nahe an der Realität Sally Rooneys Roman ist. Denn man findet in "Normale Menschen" alles über das Erwachsenwerden: Liebe Freundschaft, Sex, Zurückweisung, Füreinander da sein und die scheinbar endlose Suche nach dem eigenen Ich und dem Platz im Leben. 
Und dann ist da noch diese große Liebesgeschichte zweier Menschen, von der man auf jeder Seite hofft und bangt, dass sie am Ende doch noch zueinander finden. 

Mittwoch, 23. September 2020

Erin Morgenstern - Das sternenlose Meer



Verlag: Blessing
Seiten: 640
Erschienen: 25. Mai 2020
Preis: 22 Euro (Ebook: 17.99 Euro)




Wir betreten die Bibliothek irgendeiner amerikanischen Universität. Draußen ist es kalt und erste Schneeflocken fliegen in der Dämmerung an den großen Fenstern der Bibliothek vorbei. In einer besonders verwinkelten Ecke treffen wir auf einen jungen Mann namens Zachary. Neben ihm steht ein großer wackliger Bücherstapel, und vor ihm noch ein weiterer. Sofort wird klar, Zachary liebt Bücher, doch gerade blättert er mit großen glänzenden Augen in bloß einem einzigen Buch. Schon auf dem ersten Blick unterscheidet es sich von den anderen Büchern in der Bibliothek und auch, dass es ohne Signatur ist, macht es noch ein bisschen mysteriöser, doch das größte Geheimnis soll Zachary erst später herausfinden, als er erkennt, dass er in "Süßes Leid", so lautet der Titel des Buches, seine eigene Geschichte zu lesen bekommt. Für Zachary beginnt ein fantastisches Abenteuer.

 Es mag sein, dass Zachary die Hauptfigur in "Das sternenlose Meer" von Erin Morgenstern verkörpert, doch in Wahrheit ist er die Spitze eines verwinkelten, in vielen Richtungen aufgebautes, aufeinander gestapeltes, fantastisches und großartig aufgebautes Erzählkonstrukt, das an wunderbarer Erzählkunst nicht mehr zu überbieten ist. Allein der Haupthandlungsstrang ist so wunderbar fantasievoll und voller neuen Ideen, dass man jeden Weg, den Zachary geht mit großen Augen verfolgt und es nicht mehr erwarten kann, weiter zu blättern. 
Doch dann sind da noch die vielen Nebengeschichten, scheinbar wahllos zusammengewürfelt, die immer wieder die Haupthandlung unterbrechen, aber meistens mit dem sternenlosen Meer in Verbindung stehen, genau wie Zacharys Erzählstrang. Allen voran geht die kurze Geschichte von Schicksal und Zeit, die Zachary zu Beginn des Buches erzählt bekommt und mit dessen Motive und Symbole es man immer wieder im Verlauf zu tun bekommt. 
Doch, was ist diese Autorin bloß für eine großartige Erzählerin? Was für wunderbare Geschichten sie in "Das sternenlose Meer" vereint, die sofort ins Herz gehen und mit deren Worte man sich am liebsten zudecken möchte. Und scheinbar wahllos zwischen die Seiten geschoben, ergeben sie doch mit jeder weiteren gelesenen Seite immer mehr Sinn und verweben sich langsam mit der Haupthandlung. 
Wie viele andere Leserinnen und Leser, die in das sternenlose Meer getaucht sind, habe auch ich mich einstweilen ein bisschen verloren gefühlt in den vielen Geschichten mit den unzähligen Hintertüren und Symbolen, und auch am Ende des Buches fühlte ich mich mit vielen offenen Fragen alleine gelassen, doch zusammenfassend war "Das sternenlose Meer" eine großartige und vor allem einzigartige Leseerfahrung. So etwas wie Erin Morgensterns Nachfolger des Bestsellers "Der Nachtzirkus" habe ich zuvor noch nie lesen dürfen. Dazu sprüht dieses wunderbare Buch auch noch dazu von einer unbändigen Liebe zum geschriebenen Wort. Alles in "Das sternenlose Meer" ist voller Geschichten und Bücher und Katzen, die fast schon obligatorisch zu unzähligen Regalreihen voller Bücher und dem Lesen dazugehören und ein bisschen die heimlichen Stars des Buches sind. Aber nicht nur die Liebe zu Büchern wird hier thematisiert, sondern auch die Liebe allgemein, die man fast durchgehend in der Geschichte findet. An jeder geheimnisvollen und verwinkelten Ecke leuchtet sie einem entgegen und beweist immer wieder, was für eine große Macht sie besitzt und dass sie Raum- und Zeitgrenzen überwindet. 

Wer Fantasy liebt und dazu noch eine Schwäche für besondere Bücher besitzt, der muss "Das sternenlose Meer" im Bücherregal stehen haben, denn vielleicht ist es genau das besondere Buch, diese magische und besondere Geschichte, die auch Zachary in "Süßes Leid" im Bücherregal gefunden hat.
Seid ihr bereit für ein großes Abenteuer?

Donnerstag, 10. September 2020

Lesemonat Juli

 

Und wieder einmal etwas verspätet kommt hier mein Lesemonat Juli. Im Juli dieses Jahres habe ich insgesamt acht Bücher gelesen mit 3414 Seiten. Das war ja schon einmal nicht schlecht, dann kann es ein wenig ausführlicher werden. 

Das erste Buch aus dem Monat Juli kommt von Patrick Rothfuss. "Der Name des Windes" stand schon länger auf meiner Liste der Bücher, die ich unbedingt bald lesen wollte - und ich wurde nicht enttäuscht. Der Auftakt der Reihe ist eine abenteuerreiche Reise, nicht nur eine fantastische, sondern auch eine fantasievolle Geschichte und eine faszinierende Lebensbeichte. Ich freue mich schon sehr auf den geteilten Nachfolger und natürlich auf den Abschluss der Reihe (der leider noch nicht veröffentlicht ist, aber auch ich reihe mich nun in die Leserinnen und Leser ein, die hoffen, dass die Veröffentlichung nicht mehr lange dauert)

Weiter ging es mit dem zweiten Teil der Ellingham Academy Serie. Der Auftakt von Maureen Johnson "Was geschah mit Alice?" hat mich total überrascht und mir richtig gut gefallen. Eine interessante und detailreiche Detektivgeschichte, die in einem alten Internat in den Wäldern Vermonts spielt. Da musste natürlich auch der zweite Teil "Die geheimnisvolle Treppe" her und wieder einmal war ich begeistert. Stevie, weiterhin die unglaublich sympathische Heldin der Geschichte, ermittelt nach ihrer kurzen Abwesenheit weiter im spektakulären 'Ellingham Fall' im Internat, und wieder stellen sich ihr einige Hindernisse in den Weg und da ist auch immer noch David, der in den Pausen, wenn sich Stevie nicht gerade mit ihrer Detektiv Arbeit beschäftigt, in ihrem Kopf herumspukt. Genauso wie der Vorgänger endet auch "Die geheimnisvolle Treppe" mit einem gemeinen Cliffhanger, der dazu führt, dass man das Erscheinungsdatum den Abschlussbandes rot im Kalender anstreichen wird.

Das nächste Buch kommt von keinem Unbekannten. "Der Outsider" von Stephen King war meine erste Urlaubslektüre im Juli und immer wieder bin ich erstaunt, was dieser Mann alles kann. "Der Outsider" ist ein hochspannder Kriminalroman geworden, der ganz langsam mit immer mehr mystischen Elementen gespickt wurde und mit einem guten Ende aufwarten konnte. Nicht eine Sekunde wurde ich in der Geschichte nicht unterhalten und so waren die etwa siebenhundert Seiten auch im Nu ausgelesen. Es ist immer gut Lieblingsautoren zu haben, man wird einfach so gut wie nie enttäuscht. 

Die nächste Urlaubslektüre kommt von einer Frau, von der sicher noch Stephen King einiges hätte lernen können. Die Grande Dame des Kriminalromans Agatha Christie. Ihr Roman "Und dann gab's keines mehr" stand ebenfalls schon länger auf meiner Wunschliste und spielt auf einer einsamen Insel, auf der zehn völlig unterschiedliche Personen eingeladen werden in ein großes Sommerhaus, das dann relativ zeitnah nach der Ankunft der Inselgäste Schauplatz eines Mordes wird. Und während die übrig gebliebenen Personen noch rätseln, was passiert ist, bahnt sich auch schon das nächste Unglück an. Auch "Und dann gab's keines mehr" hat mich hervorragend unterhalten und auch ich wurde lange in die Irre geführt, bis ich wusste, was da auf der Insel vorgeht. Ein toller Krimi. 

Weiter ging es im Juli mit "Schöner als überall" von Kristin Höller. Die Autorin hat eine zarte und poetische Geschichte über das Erwachsen Werden geschrieben. Noah und Martin sind schon ihr ganzes Leben Freunde, auch als beide aus ihrem verschlafenen Wohnort nach München ziehen. Am Anfang der Geschichte kehren sie genau dorthin wieder zurück und erfahren auf unterschiedliche Weise, was im Leben wirklich zählt- und wie sie dieses leben wollen. Vor allem die Sprache, die Kristin Höller benutzt, hat mir besonders gut gefallen.

Im Juli gab es dann auch wieder ein bisschen Poesie. Poesie von der besonders schönen Sorte. Seit mir Amanda Lovelace mit "The princess saves herself in this one" das Herz gebrochen hat, musste jeder ihrer Gedichtbände bei mir einziehen, genauso wie zuletzt "break your glass slippers", der Beginn einer neuen Reihe, die mir wieder einmal sehr gut gefallen hat. Ich kann gar nicht genau beschreiben, warum mich die Worte der Autorin jedes Mal so besonders rühren, aber es scheint, als öffnete sich jedes Mal etwas in mir beim Lesen ihrer Gedichte und ich fühle mich verstanden. So, als ob jemand ein paar meiner Gedanken in Worte fasst. Ein unglaubliches Talent, das diese Frau besitzt.

Von meinem vorletzten Buch aus dem Lesemonat hätte wahrscheinlich auch nicht der Autor John Ironmonger gedacht, dass es jemals so eine erschreckende Aktualität erlangen würde. Zunächst erzählt der Autor "Der Wal und das Ende der Welt" von einem Aussteiger, der an der Küste eines kleinen und entlegenden Küstenorts strandet und freundlich und fast schon liebenswert von den Bewohnern des Ortes aufgenommen wird. Bald schon stellt sich heraus, dass die Hauptfigur anscheinend einem Wal seine Rettung aus den Fluten verdankt und auch seine weitere Geschichte an diesem entlegenden Ort wird immer wieder von diesem Tier geprägt. Als dann eine dramatische Grippeepidemie die Welt heimsucht, müssen die Bewohner des Dorfes zusammen arbeiten, um sich durch diese erschreckenden Zeiten zu retten. John Ironmonger ist eine großartige Geschichte gelungen, ein beeindruckendes Stück Menschlichkeit und wie immer wieder einzelne Personen Geschichte prägen können - oder eben ein riesiger Wal.

Das letzte Buch aus dem Juli war ein Reread eines meiner Lieblingsbücher. In "Small World" von Martin Suter begegnen wir Konrad Lang, einer der liebevollsten Figuren, die ich jemals kennen lernen durfte. Martin Suters Hauptfigur erkrankt langsam an Demenz. Es fängt mit Kleinigkeiten an, dass der Schlüssel plötzlich im Eisfach landet oder der Weg zum Einkaufen vergessen wird und steigert sich langsam in Dramatische. Besonders wichtig ist, dass die Aufmerksamkeit auf eine Krankheit gelenkt wird, für die es noch viel zu wenig Verständnis gibt. 

Das war es auch schon wieder mit meinem Lesemonat, der sehr erfolgreich war. Es geht weiter in den August. 

Sonntag, 6. September 2020

Ambrose Parry - Die Tinktur des Todes




Verlag: Pendo (Pieper)
Seiten: 464
Erschienen: 31. August 2020
Preis: 16.99 Euro (Ebook: 12.99 Euro)






Herzlich Willkommen im alten Edinburgh. Enge Gassen, verschlungene und versteckte Winkel an jeder Ecke, zwielichtige Typen in langen Mänteln und grimmigem Gesichtsausdruck. Überall scheint ein mysteriöser Nebel über der gesamten Szenerie zu liegen.
In diesem Edinburgh begegnen wir einer Figur, die gerade mit einem verzerrten Gesichtsausdruck, aus dem der Schrecken und die Furcht noch nicht ganz gewichen sind, aus einem Hauseingang gestolpert kam. Als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her, flieht der Mann in eine besonders dunkle Gasse und verschwindet im Nebel. Und so sind wir mitten herein ins Ausgangsszenario des historischen Kriminalromans "Die Tinktur des Todes" von Ambrose Parry, dem Pseudonym der Autoren Christopher Brookmyre und Marisa Haerzman, gefallen. Begegnet sind wir der Hauptfigur Raven, der sein bisheriges Leben in den eher zwielichtigen Gegenden Edinburghs verbracht hat und die Chance bekommt sein Leben zu ändern, als Lehrling des berühmten Arztes Dr.Simpson, spezialisiert auf Geburtshilfe, gut betucht und häufig im Milieu der reichen Bevölkerung Edinburghs unterwegs. Doch bevor Raven auch nur einen Schritt in seinem neuen Aufgabengebiet unternehmen kann, beginnt eine erschütternde Mordserie in der schottischen Stadt und mit dem Hausmädchen aus Dr. Simpsons Haushalt, Sarah, begibt sich Raven auf die Spur des Täters. 
Sicherlich muss man bei "Die Tinktur des Todes" zuerst die wunderbare Atmosphäre des Romans herausheben, die sich vor allem im alten Edinburgh verdichtet und den Leser ganz langsam vollkommen einnimmt. Edinburgh wirkt schließlich auch heute immer noch mystisch und geheimnisvoll, was bietet sich da besser an einen Kriminalroman im historischen Edinburgh spielen zu lassen? 
Auch wenn sich die Handlung an manchen Stellen des Buches etwas gezogen hat, hat mir mein Ausflug ins alte Schottland insgesamt gut gefallen. Tatsächlich hatte ich mit Raven, als Hauptfigur, manchmal meine Probleme, weil er oft überheblich wirkte und auch ein bisschen undurchsichtig, doch ungefähr bei der Mitte der Geschichte wurde er zugänglicher und es wurde deutlich, dass er eigentlich nur Gutes im Sinn hat. 
Sarah, die für mich der heimliche Star des Romans war, war mir dagegen von der ersten Seite an sympathisch. Ihre Klugheit und Neugier haben mir sofort imponiert und ich empfand wahrscheinlich genauso oft wie Sarah selbst die vollkommene Ungerechtigkeit ihrer Situation, dass sie mit ihren Ambitionen in die falsche Zeit geboren, diese nicht ausleben konnte und ihr ganzes bisheriges Leben eine einzige Unterforderung war. Umso mehr imponierte mir, dass sie trotzdem immer wieder Wege fand ihre Interessen durchzusetzen und somit diesen historischen Kriminalroman einen Hauch Feminismus verlieh. 
Die schlussendliche Auflösung der Geschichte hatte ich dann auch erst ganz am Schluss vorausgeahnt und die genretypische Präsentation des Schurken war dann eine kleine Überraschung.
Zum Abschluss möchte ich noch betonen, dass "Die Tinktur des Todes" auch in medizinischer Hinsicht unglaublich interessant zu lesen war, weil man sehr viele Einblicke in die medizinische Arbeit zur Zeit, in der der Roman spielt, bekommt und die - so gehe ich aus - exakt recherchiert war, da ein Teil des Autorenduos, Marisa Haetzman, Medizinhistorikerin ist, zwanzig Jahre als Anästhesistin gearbeitet hat und ihre Forschungsarbeit zur modernen Anästhesie überhaupt erst die Idee zum vorliegenden Roman geliefert hat. Auch, wenn dem Leserin und dem Leser einige historische Medizinpraktiken in "Die Tinktur des Todes" die Haare zu Berge stehen lassen wird, war dies doch eine interessante Abrundung des Romans, der Interesse weckt an den Folgebänden. 

"Die Tinktur des Todes" ist der Auftakt der 'Die Morde von Edinburgh' Reihe. 

 

Montag, 10. August 2020

Lesemonat Juni

 


Hallo lieber komplett verspäteter Lesemonat Juni. Ja, manchmal kommt das Leben dazwischen und einige Blogbeiträge müssen warten. Aber glücklicherweise kann man alles nachholen und aus diesem Grund reiche ich heute meinen Lesemonat Juni nach. Im Juni habe ich insgesamt acht Bücher gelesen mit 3426 Seiten. Zwei Monatshighlights waren dabei, die kommen aber zum Ende des Lesemonats. Dann sind die Fakten geklärt, los geht's.

Das erste Buch kommt von Philippe Lancon. Der Autor saß in der Redaktion der französischen Satirezeitung 'Charlie Hebdo', als diese von Terroristen überfallen wurde und zwölf Menschen getötet wurden. In "Der Fetzen" erzählt Lancon, der bei dem Anschlag schwer verletzt wurde, seinen langen Weg zurück in ein Leben, das die Gesellschaft als 'normal' bezeichnet. Doch für den Journalisten wird schnell klar, dass sein Leben nie wieder normal sein wird. Unfassbar intensiv und manchmal schwer zu ertragen schreibt der Autor, aber gerade deswegen ist dieses Buch so wichtig, weil es die Wahrheit erzählt. Schonungslos und ehrlich.

Weiter ging es im Juni mit dem Buch "Das Geheimnis von Shadowbrooks" von Susan Fletcher. In der Geschichte geht es um eine junge Frau Clara, die eine Einladung in den Süden Englands erhält. Sie soll das Gewächshaus vom Anwesen Shadowbrooks ausstatten und macht sich auf dem Weg aus den grauen und regnerischen London in den malerischen Süden. Doch auf dem Anwesen angekommen, merkt Clara schnell, dass irgendetwas nicht stimmt in diesem großen Haus. Die Haushälterinnen verhalten sich seltsam und der Hausherr, der die Einladung ausgesprochen hat, lässt sich überhaupt nicht blicken. Und dazu offenbart sich Clara noch ein Geheimnis, auf Shadowbrooks soll ein Geist umgehen. 
Von der ersten Seite an habe ich mich von der Geschichte unglaublich unterhalten gefühlt und manchmal, das muss ich zugeben, habe ich mich auch wirklich gegruselt, wenn es um die Geistergeschichte gegangen ist. Vor allem aber hat mir die Hauptfigur gefallen, die mich zwischendurch immer wieder an die Bronte Charaktere erinnert hat. Ein alles in allem wirklich gelungener Roman.

Das nächste Buch war ein bereits von mir lang erwartetes Prequel der Tribute von Panem Reihe. "Das Lied von Vogel und Schlange" von Suzanne Collins. In der Geschichte erzählt die Autorin das Leben des Präsidenten von Panem in Katniss Everdeens Zeit: Coriolanus Snow. Und das war wahnsinnig interessant, erst einmal überhaupt ein Blick in ein Panem zu bekommen, dass etliche Jahre vor Katniss Hungerspielen existiert und gerade frisch aus dem Krieg der Rebellen kommt. Es war interessant, weil es in diesem Buch völlig andere Hungerspiele statt finden und am meisten interessant war die Tatsache, dass wir einen, zumindest zu Beginn der Geschichte, charakterlich völlig anderen Snow kennen lernen, der mühelos den gesamten Plot tragen kann. Auch, wenn "Das Lied von Vogel und Schlange" einige Längen hat, bin ich doch von dem Prequel völlig überzeugt, weil es einen ganz anderen Blickwinkel öffnet.

Weiter ging es im Juni mit dem Buch von C.A. Fletcher. In "Ein Junge, sein Hund und das Ende der Welt" betreten wir eine fast entvölkerte Welt, in der der Protagonist sich auf eine lange Reise macht seinen Hund wiederzufinden, der ihm nach einer List gestohlen wurde. C.A. Fletchers Buch ist eine stille Geschichte über das, was im Leben wirklich wichtig ist in einer Welt, die sich die Natur längst zurückgeholt hat. Mit dem Ende hätte ich dann überhaupt nicht gerechnet und auch wenn der Roman ebenfalls ein paar Längen hat, wurde ich doch bestens unterhalten. 

Der Monat ging weiter mit dem Buch von Edna O'Brien. In "Das Mädchen" wird die Geschichte von Maryam erzählt, die aus ihrer nigerianischen Schule von Boko-Haram Kämpfern an einen unbekannten Ort entführt wird und dort die Hölle einer Gefangenschaft durchleben muss. Mit ihrer Freundin Buki gelingt ihr schließlich die Flucht und nun muss sie sich ihr Leben zurückkämpfen und das beschreibt die Autorin mit einer unglaublichen Empathie und Feinfühligkeit. "Das Mädchen" ist ein Buch über Gewalt gegen Frauen und ihre Fähigkeit diese immer und immer wieder zu überwinden. Pflichtlektüre!

Nachdem ich zuletzt einen Ausflug in das Genre des Liebesromans unternommen
und ein Reread von 'Kirschroter Sommer' gestartet habe, ging es weiter mit dem zweiten Teil von Carina Bartsch. In "Türkisgrüner Winter" wird die Liebesgeschichte zwischen Emily und Elyas weiter erzählt und wie beim ersten Lesen hat mir der zweite Teil wesentlich besser gefallen, als der Erste. Möglicherweise, weil die Geschichte sehr viel mehr ins Detail ging, als noch im ersten Roman, der nur an der Oberfläche kratzte und auch, weil die Charaktere viel zugänglicher wurden und auch oft weniger nervig. Zusammenfassend war das Ganze ein gelungenes Reread, das mich dazu noch gebracht hat auch den kürzlich erschienenen dritten Teil der Reihe lesen zu wollen. 

Kommen wir nun zu meinem ersten Monatshighlight. "1000 Serpetinen Angst" von Olivia Wenzel ist ein intensiver Debütroman, eine unfassbar wichtige Geschichte und ein Fest der Selbstreflexion. Es geht um Rassismus im Alltag, immer und überall. Es ist ein Monolog, ein Frage und Antwort Spiel. Es ist wirr und meistens ohne roten Faden, es ist ungewöhnlich und ein Buch, das man aus vielen verschiedenen Gründen nicht so schnell vergessen wird. Manche Sätze möchte man sich ausschneiden und an die Wand hängen. Ein Buch, das man unbedingt, unbedingt lesen sollte. 

Das letzte Buch und das zweite Monatshighlight kommt von Franka Frei und heißt "Periode ist politisch". Für mich kam das Lesen dieses Buches ein bisschen einer Offenbarung gleich. Sooft habe ich mich in Franka Frei's Worten wiedergefunden, ich habe mich ertappt aber gleichzeitig verstanden gefühlt. Ich habe es alles gefühlt, jede einzelne Seite und gespürt, wie die Revolution losgebrochen wurde. Franka Frei spricht darüber, welche Folgen es haben kann weiterhin nicht offen über die Periode zu sprechen. Und diese Folgen sind weitreichender, als sich irgendjemand vorstellen kann. Sie betreffen nicht nur den Alltag von menstruierenden Menschen, sondern auch die gesamte Gesellschaft. Wie oft ich zwischen den Zeilen genickt und mich einfach verstanden gefühlt habe, ich kann es nicht zählen. "Periode ist politisch" ist ein Buch, das wirklich JEDER lesen sollte. 

Sonntag, 21. Juni 2020

Marc Elsberg - Gier (Die Welt am Abgrund)




Verlag: blanvalet
Seiten: 448
Erschienen: 25. Februar 2019)
Preis: 24 Euro (Taschenbuch: 12 Euro, Ebook: 14.99 Euro)








"Stoppt die Gier!", rufen sie und "Mehr Gerechtigkeit!".
Auf der ganzen Welt sind die Menschen in Aufruhr. Sie demonstrieren gegen drohende Sparpakete, Massenarbeitslosigkeit und Hunger - die Folgen einer neuen Wirtschaftskrise, die Banken, Unternehmen und Staaten in den Bankrott treibt. Nationale und internationale Konflikte eskalieren. Nur wenige Reiche sind die Gewinner. Bei einem Sondergipfel in Berlin will man Lösungen finden. Der renommierte Nobelpreisträger Herbert Thompson soll eine Rede halten, die die Welt verändern könnte, denn angeblich hat er die Formel gefunden, mit der Wohlstand für alle möglich ist. Doch dazu wird er nicht mehr kommen. Bei einem Autounfall sterben Thompson und sein Assistent - aber es gibt einen Zeugen, der weiß, dass es Mord war, und der hineingezogen wird in ein gefährliches Spiel. Jan Wutte will wissen, was hinter der Formel steckt, aber die Mörder sind ihm dicht auf den Fersen...
(Quelle: RandomHouse)

Stell dir vor, du willst bloß erste Hilfe bei einem Autounfall leisten und gerätst plötzlich ins Visier eiskalter Killer und wenn das noch nicht genug ist, ist auch noch die Polizei hinter dir her, die seltsamerweise dich für einen skrupellosen Mörder hält. 
Herzlich Willkommen im Ausgangsszenario von Marc Elsberg's aktuellem Thrillerstreich: "Gier - Die Welt am Abgrund". Nachdem mich Elsbergs Debüt "Black Out" wie so viele andere in Euphoriestürme ausbrechen ließ und mir gleichzeitig ein mehr als unbehagliches Gefühl bescherte, als bei der eigenen Selbstreflexion klar wurde, wie sehr man eigentlich vom Stromnetzwerk abhing und wie angreifbar man damit war, war ich natürlich sehr gespannt etwas Neues von Elsberg zu lesen. 
Am Ende der Lektüre von "Gier", war ich allerdings enttäuscht. Die Geschichte über eine Welt in der nächsten Wirtschaftskrise und dem Altenpfleger Jan Wutte, der zufällig ins Visier von Auftragskillern gerät, ist ganz nett, mehr aber auch nicht. Auch den erzählerischen Aspekt mit der revolutionären Idee eines Nobelpreisträgers, mit der er ein ganzes System zum Einsturz bringen und neu aufzubauen gedachte, konnte mich am Ende nicht überzeugen.
Es fehlte der Geschichte der Glanz, die Originalität und den unverwechselbaren Realismus, den man noch mit "Black Out" verbunden hat. 
Ein Unschuldiger, der eigentlich nur helfen wollte und einen ehrbaren Beruf ausübt, bei dem er überdies auch noch schlecht bezahlt wird, dieses Szenario gab es zudem außerdem auch schon so oft, das es im Zusammenhang mit der Geschichte oft schwerfällig und nicht überzeugend wirkte. Zudem nahm es auch noch fast den gesamten Realitätsanspruch aus der Handlung und Elsbergs Romane leben eigentlich von den fast schon beängstigenden realen Handlungssträngen. 
Sicherlich sind die anderen behandelten Themen im aktuellen Elsberg Thriller auch uns bekannte Themen. Klimawandel, die immer mehr wachsende Schneise zwischen reich und arm, das Erstarken einer besorgniserregenden rechten Bewegung, doch ungeachtet ihrer Priorität werden sie hier leider zu wenig angeschnitten und bleiben somit eher Nebenthemen. 
Die immer wieder angeschnittene mathematische Komponente in "Gier" war manchmal durchaus interessant, doch weiß ich am Ende nicht, ob mir das nötige mathematische Wissen dafür gefehlt hat, denn nach manchen Abschnitten hatte ich nicht wirklich mehr das Gefühl der Handlung folgen zu können.
Während der Lektüre gab es demnach einige Schwierigkeiten für mich zu überwinden und da mich das Ende des Romans auch nicht überzeugen konnte, 
bleibt "Gier" leider für mich ein gewöhnlicher Thriller, der schnell wieder aus dem Gedächtnis verschwinden wird. 

Franka Frei - Periode ist politisch (Ein Manifest gegen das Menstruationstabu)





Verlag: Heyne Hardcore
Seiten: 256
Erschienen: 2. März 2020
Preis: 18 Euro (Ebook: 13.99 Euro)







Wie oft wurde die Menstruation als 'Frauenproblem' abgetan, mit der es sich nicht weiter zu beschäftigen galt? Wie oft wurde die Menstruation gar tabuisiert oder wurde nieder geschwiegen, so dass sie ein Geheimnis oder sogar Mysterium wurde, über das nur hinter vorgehaltener Hand geredet wurde? Dabei handelt es sich bei der Menstruation um eine faszinierende Körperfunktion, um die sich immer noch zahlreiche falsche Annahmen ranken. Aus diesem Grund macht sich Franka Frei daran eines der größten Tabus unserer Zeit zu brechen und zeigt auf, welchen gravierenden Einfluss das Schweigen über die Periode auf alle Bereiche unseres gesellschaftlichen Lebens hat...
Die Revolution kommt. Und sie wird blutig.

Diese Bücher, die alles an die richtige Stelle zu rücken scheinen. 
Diese Bücher, in denen du dich selbst sooft wiederfindest, dass es schon fast unheimlich zu sein scheint. 
Die aufgeschriebenen Wörter, diese Gedanken, die dich an manchen Stellen ungläubig den Kopf schütteln lassen, auf anderen Seiten lassen sie dich wissend nicken und manchmal bescheren sie dir so viele 'Aha-Momente' auf einem Schlag, dass es einer Erleuchtung gleich kommt. 
So viel Inspiration, diese Bücher, von denen du überzeugt bist, dass sie die Welt besser machen könnten, wenn sie nur genügend Leute lesen würden. 
All das hat "Periode ist politisch" mit mir gemacht. 
Ein gutes Anzeichen dafür, dass mir ein gelesenes Buch besonders gut gefallen hat, ist, dass ich noch lange, nachdem ich die letzte Seite gelesen habe, immer wieder anfange darüber zu sprechen. Bei Franka Frei's "Periode ist politisch" kam das sogar noch häufiger vor, da das Thema besonders bei Frauen in meinem Alter quasi immer präsent ist. Fast jeden Tag werden wir mit unserer Menstruation in irgendeiner Weise konfrontiert, sei es in der Werbung, wenn wir mit einem schnellen und geübten Griff die Packung Tampons in den Einkaufswagen packen oder gute Miene zum bösen Spiel machen, wenn wir mit einem von Menstruationskrämpfen geplagten Unterleib versuchen unseren Alltag auf die Reihe zu bekommen. Aber vor allem werden wir meistens mit der Periode heimlich konfrontiert, weil es in der Gesellschaft nicht angesagt ist offen über das zu sprechen, was den Alltag von vielen menstruierenden Menschen auf massive Weise beeinflussen kann. Seit ich "Periode ist politisch" gelesen habe, hat in dem Bereich ein Umdenken bei mir statt gefunden. Ich fange an offener zu sein, mich ganz bewusst und vielleicht ein wenig selbstbewusster mit meiner Menstruation auseinander zu setzen und vor allem beginne ich drüber zu reden. Und dabei heraus kam Erstaunliches: in meinem Freundeskreis haben wir uns gefragt, warum wir erst jetzt angefangen haben so ausführlich über die Menstruation zu reden. Schließlich ist es ein gutes Gefühl zu wissen, dass man mit manchen Problemen innerhalb der eigenen Periode nicht alleine ist und sich darüber austauschen kann. 
Franke Frei hat vieles geschrieben, mit dem ich mich identifizieren konnte. Sie hat vieles geschrieben, dass ich noch nicht wusste oder dass mir nicht bewusst war, beispielsweise der problematische Umgang mit Werbung für Menstruationsprodukte, die genau diese gesellschaftliche Ächtung, dass Frauen in der Öffentlichkeit bluten, ausnutzt, um ihre Produkte zu vermarkten. Franka Frei hat mir beigebracht über den Tellerrand hinauszuschauen und gezeigt, in wie vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens negativ eingegriffen wird, wenn die Menstruation weiterhin tabuisiert wird. Deswegen ist es wichtig, dass solche Bücher in die Welt hinausgetragen werden, denn nur so können Dinge verstanden werden, über die sich manche Menschen wahrscheinlich vorher nie Gedanken gemacht haben, und das Leben menstruierender Menschen in vielerlei Hinsicht verbessert werden.
Die Revolution kommt. Und sie wird blutig. 

Sonntag, 14. Juni 2020

Lesemonat Mai


Herzlich Willkommen zu meinem Lesemonat Mai. Im vergangenen Monat habe ich insgesamt sechs Bücher gelesen mit 2674 Seiten. Zwei Monatshighlights waren auch dabei, die kommen aber - wie immer - am Ende. Dann hätten wir die Daten geklärt, es kann losgehen.

Das erste Buch aus dem Mai kommt von Chandler Baker. "Whisper Network" stand schon sehr lange vor Erscheinen auf meiner Wunschliste. Eine Geschichte, in der sich vier Frauen, Kolleginnen und Freundin gegen ihren übergriffigen Chef am Arbeitsplatz wehren und somit das Thema 'sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz' behandelt, über solche Geschichten muss immer wieder geredet werden. Die Autorin hat hieraus ein spannendes Buch gemacht, das eine Mischung aus Kriminalgeschichte und Gesellschaftsroman geworden ist. Einzig die Figuren waren mir persönlich etwas überzeichnet. Zu "Whisper Network" habe ich auch eine Rezension geschrieben. 

Weiter ging es im vergangenen Monat mit einem sehr wichtigen Buch, das für mich schon fast zur Pflichtlektüre gehört. "Unsichtbare Frauen" von Caroline Criado Perez. Schon lange nicht mehr habe ich bei einer Lektüre sooft ungläubig den Kopf geschüttelt, wie bei diesem Buch, in dem die Autorin ihren Leserinnen und Leser detailliert und vor allem durch zahlreiche Quellen verdeutlicht, dass Frauen in jeder Gesellschaft permanent unterdrückt werden, und das in vielen Fällen überhaupt nicht wahr nehmen. Habt ihr euch beispielsweise schon einmal darüber Gedanken gemacht, dass die Stadtplanung durch und durch männlich organisiert ist? Oder dass im gesundheitlichen Bereich Frauen eine größere Wahrscheinlichkeit haben Nebenwirkungen von Medikamenten zu bekommen, weil die Dosierung bei der Vielzahl der Medikamente auf den männlich durchschnittlichen Prototypen zugeschnitten ist? Natürlich werden in "Unsichtbare Frauen" auch die bereits 'bekannten' Unterdrückungen der Frau durch die Arbeitswelt beschrieben. Doch, es wird eben auch deutlich gemacht, dass das weibliche Geschlecht durch die Gesellschaft auf eine Weise sozialisiert wurde, dass es nicht mehr merkt, wie oft es eigentlich unterdrückt wird. Ein Buch, das jeder gelesen haben sollte. 

Das nächste Buch aus dem Mai war eines, das ich bereits vor vielen Jahren gelesen habe."Kirschroter Sommer" von Carina Bartsch kommt, wie der Titel schon vermuten lässt, aus dem Liebesroman Genre und ist somit eigentlich eine Geschichte, mit der ich aus Erfahrung nicht so gut klar komme. Doch tatsächlich gehörte schon vor ein paar Jahren die Geschichte von Emily und Elyas für mich zu den besseren Romanen aus dem Genre und auch beim nochmaligen Lesen habe ich mich die meiste Zeit gut unterhalten gefühlt, auch wenn mir aufgefallen ist, dass mich jetzt, wo ich ein paar Jahre älter geworden bin, ein paar Sachen gestört haben. Das waren aber zusammenfassend nur Kleinigkeiten, so dass ich wahrscheinlich in ein paar Jahren immer noch gute Erinnerungen an die Geschichte haben werde. 

Weiter ging es mit einer Geschichte, die mich leider nicht wirklich überzeugen konnte. "Sanctuary" von V.V. James war ein Spontankauf auf dem Reader. Da der Inhalt total interessant klang, habe ich mich dann auch relativ schnell für die Lektüre entschieden. Allerdings wurde ich schnell enttäuscht, da ich mich, während des Lesens, wahrscheinlich im negativen Sinne noch nie so sehr über Charaktere aufgeregt habe, wie in diesem Fall. Die krassen Stimmungsumschwünge und Handlungen der besagten Figuren in einer Geschichte, in der in einem kleinen Hexenstädtchen ein spektakulärer Mord an einem Highschool Starschüler verübt wird, konnte ich überhaupt nicht nachvollziehen. Zudem kamen immer wieder deutliche Parallelen zu Stephen King's "Die Arena" auf, die aber auch plump wirkten und so zum negativen Gesamtbild beigetragen haben. Schade, aber man kann eben nicht mit jeder Geschichte warm werden. 

Kommen wir nun zu meinem ersten Monatshighlight und einem echten Klassiker: "Die Glasglocke" von Sylvia Plath. Schon nach wenigen Seiten in dem kleinen Büchlein war mir klar, dass diese Geschichte Potenzial für ein Lieblingsbuch hat. Allein die zarte und poetische Sprache der Autorin und die Beschreibung der Hauptfigur, mit der sich jedes junge Mädchen identifizieren kann, hat mir unheimlich gut gefallen. Das ist auch der Grund, warum ich es eigentlich sehr schade finde das Buch jetzt erst gelesen zu haben und mir wünsche in eine Zeitmaschine zu springen und meinem jüngeren Ich die Geschichte zu überreichen. Aber besser spät, als nie. Und so ist "Die Glasglocke" zu einem echten Juwel im Bücherregal geworden. 

Und damit sind wir auch schon beim letzten Buch aus dem Lesemonat Mai. Eigentlich bin ich bei Bestsellerlisten immer extrem vorsichtig, weil mich viele Geschichten einfach nicht überzeugen konnten. "Der Gesang der Flusskrebse" von Delia Owens war allerdings ein Roman, der mich überallhin verfolgte und so konnte ich nicht anders und musste es lesen. Und was hätte ich verpasst, wenn ich das nicht getan hätte? Der Autorin ist eine wunderbare Geschichte mit einer Hauptfigur gelungen, die sich nahtlos in meine Hall of Fame der absoluten Lieblingsfiguren eingereiht hat. Kya ist ein großartiges Mädchen, das allein schon die gesamte Geschichte hätte tragen können. Das brauchte sie aber nicht, weil auch die Handlung spannend und interessant konstruiert war, dass "Der Gesang der Flusskrebse" ein wilder Genremix aus Selbstfindungsbuch, Abenteuergeschichte, Kriminalgeschichte und Gerichtsdrama wurde. Eine uneingeschränkte Leseempfehlung. 

Das war er auch schon wieder. Mein Lesemonat Mai. Insgesamt war ich zufrieden und bin schon sehr gespannt, was mich im nächsten Monat erwarten wird.

Sonntag, 24. Mai 2020

Fabio Genovesi - Wo man im Meer nicht mehr stehen kann





Verlag: C.Bertelsmann
Seiten: 416
Erschienen: 13. Mai 2019
Preis: 22 Euro (Ebook: 9.99 Euro, Taschenbuch: 12 Euro)







Fabio ist eigentlich ein ganz normaler Junge. Er entdeckt gerne neue Dinge oder verbringt Zeit mit seinem Vater, in der die beiden vielleicht keine tiefgründigen Gespräche führen, in der sein Vater Fabio aber zeigt, dass er ein außerordentliches Talent dafür hat alle Dinge reparieren zu können. 
Allerdings unterscheidet sich Fabios Familie von allen anderen, die Fabio kennt. Denn während die meisten Kinder meistens zwei Großmütter und -väter hatten, kann er gleich mit zehn Großväter aufwarten und die bringen sein eigentlich ganz normales Leben manchmal ganz schön durcheinander, und manchmal wünscht sich Fabio auch, dass seine Großväter so normal wären wie andere Großväter. 
Und dann erschüttert ein Ereignis Fabios ganzes Leben und er erkennt, dass es unwichtig ist, was man für eine Familie hat, am wichtigsten ist, dass die Familie zusammenhält. 

Zugegeben, als ich zum ersten Mal von "Wo man im Meer nicht mehr stehen kann" von Fabio Genovesi gehört habe, wusste ich nicht, was mich in der Geschichte erwarten würde, doch das, was ich aus dem Inhalt wusste, fühlte sich zu gut an, um das Buch nicht lesen zu wollen. Und tatsächlich lag ich mit meiner Einschätzung nicht daneben. Möglicherweise habe ich das Buch, dessen Geschichte hauptsächlich in einem sonnigen italienischen Dorf spielt vor ein paar Monaten zur falschen Zeit gelesen. Möglicherweise habe ich sie aber auch genau zur richtigen Zeit gelesen, denn während es draußen meist grau und regnerisch war, hat mir "Wo man im Meer nicht mehr stehen kann" immer einen besonders wohligen Sonnenstrahl geschenkt, der einem das Gesicht wärmt, aber nicht so grell ist, dass er in den Augen weh tut. Und das ist Fabio Genovesis Geschichte auch: wie ein besonders schöner Urlaubstag, der einfach nicht enden soll. 
Wir begleiten bei dieser teilweise autobiografischen Geschichte den Protagonisten Fabio beim Erwachsenwerden, in denen er die typischen Probleme eines Heranwachsenden erlebt. Wir erleben auch Fabios ganz eigene Herangehensweise an diese Probleme, die einen großen Teil des Charmes, den diese Geschichte zweifellos inne hat, ausmacht. Ein kleines bisschen naiv, ein kleines bisschen unwissend, aber gleichzeitig mit einer unglaublichen Herzensgüte ausgestattet, spielt sich der Protagonist sofort in jedes Herz der Leserinnen und Leser seiner Geschichte. Und auch seine zehn Großväter sind Figuren, denen man in Büchern noch nicht sooft begegnet ist und die genau deswegen so einzigartig sind und einen unverwechselbaren Humor in den Roman bringen. Nicht nur einmal habe ich mich bei den beschriebenen Situationen mit Fabios Großvätern gefragt, was wirklich passiert und was der Fantasie des Autoren entsprungen ist, wenn man den autobiografischen Teil der Geschichte berücksichtigt. 
Was allerdings zweifelsohne feststeht, ist, dass "Wo man im Meer nicht mehr stehen kann" sich zwischen Familienroman, einer Coming-Age-Story und einer sehr schönen Wohlfühlgeschichte bewegt, die zeigt, wie viel Kraft im kindlichen Glauben und im geschriebenen Wort steckt, und die kalte Jahreszeiten aufhellt und im Sommer den letzten warmen Sonnenstrahl des Tages einfängt, damit man ihn noch lange herumtragen kann. 
Ein Buch für jede Jahreszeit. 

Freitag, 15. Mai 2020

Chandler Baker- Whisper Network






Verlag: Heyne
Seiten: 482
Erschienen: 30. März 2020
Preis: 20 Euro (Ebook: 15.99 Euro)







Die Kolleginnen und Freundinnen Sloane, Ardie und Grace leiden seit Jahren unter ihrem Vorgesetzten Ames. Über Ames' Verhalten gegenüber den weiblichen Angestellten an ihrem gemeinsamen Arbeitsplatz wird immer wieder hinter vorgehaltener Hand geredet, es gab Gerüchte, die aber genauso oft von der obersten Firmenleitung ignoriert wurden. Fast zeitgleich mit der Vorstellung einer neuen Arbeitskollegin, verdichten sich immer mehr die Hinweise, dass Ames zum leitenden Geschäftsführer der Firma befördert werden soll. Als sich die neue Arbeitskollegin kurz darauf den Frauen anvertraut, steht für sie endgültig fest, dass Ames' Aufstieg zum Firmenboss unbedingt verhindert werden muss. Und wenn ihre Worte allein nicht ausreichen, um Veränderungen zu bewirken, müssen Taten sprechen, auch wenn Sloane, Ardie und Grace nicht ahnen können, was sie damit in Gang setzen... 

Schon lange im Vorfeld war ich sehr gespannt auf "Whisper Network" von Chandler Baker. Seit der 'me too' Bewegung ist angesichts der enormen Priorität der Debatte, die unter anderem sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz beinhaltet, das Thema immer wieder in den Medien vertreten und den Umstand daraus Stoff zu machen für diverse Adaptionen ist nicht nur ausreichend gegeben, sondern hilft auch das Thema weiterhin in der Öffentlichkeit zu halten. So besaß das Thema des Romans also schon im Vorfeld der Lektüre eine ungeheure Portion Brisanz und ich fand es interessant zu erfahren, wie die Autorin dieses umgesetzt hat. Am Ende wurde "Whisper Network" eine Mischung aus Gesellschafts- und Kriminalroman, der durchaus unterhalten konnte und das aus meiner Sicht auch bis zur letzten Seite vollbracht hat. 
Die Handlung von "Whisper Network" ist in einer Struktur aufgebaut, in der die Leserin und der Leser lange Zeit überhaupt nicht wissen, was eigentlich passiert ist. Die Ereignisse im Verlauf werden rückwärts erzählt, so dass das katastrophale Ereignis am Anfang der Geschichte Stück für Stück aufgefasert wird, um begreiflich zu machen, wie es zur Ausgangssituation kommen konnte. Dieser Erzählstil wirkt gerade zu Beginn der Handlung undurchsichtig, aber genau das habe ich als positiv empfunden, da ich selbst die einzelnen Puzzleteile zusammenfügen wollte, bis sich ein Gesamtbild ergab und nicht nur einmal wurde ich dabei auf die falsche Fährte gelockt. Der Erzählstil von Bakers Geschichte wird wohl auch einigen Serienkennerinnen und -kenner bekannt vorkommen, denn dieser erinnert sehr an die Serie "Big little lies", die damit große Erfolge feierte und überdies auch den feministischen Grundgedanke mit "Whisper Network" gemeinsam hat.
Und auch, wenn dieser Grundgedanke, der in der vorliegenden Geschichte das Thema der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz behandelt und über das man sprechen und mit allen Mitteln verhindern muss, damit in der Öffentlichkeit hält und das sehr lobenswert ist, war er doch der Ausgangspunkt für etwas, das mir an "Whisper Network" nicht gut gefallen hat und das waren die Figuren in Bakers Geschichte oder besser formuliert: die völlige Überzeichnung ihrer Charaktereigenschaften. Das Grundthema reicht an sich schon völlig aus, um den feministischen Aspekt voll und ganz zu erfüllen, doch ich wurde das Gefühl nicht los, dass Chandler Baker ihren Figuren noch den letzten Rest an Feminismus einverleiben wollte, was allerdings nur dazu führte, dass diese ins Stereotypische abgerutscht sind. Das führte zwar nicht dazu, dass die Handlung weniger unterhaltsam war aber doch in meinem Fall das ein oder andere Mal dazu, dass ich irritiert die Stirn gerunzelt habe, weil ich das Gefühl hatte, dass die Figuren bei manchen Handlungen einem Handbuch gefolgt sind. 
Zusammenfassend ist "Whisper Network" eine unterhaltsame und interessante Geschichte geworden, die trotz allem die Priorität des wichtigen Grundthemas immer wieder hervorhebt und dieses auch nie aus den Augen verliert. 

Montag, 11. Mai 2020

Lesemonat April

Herzlich Willkommen zu meinem Lesemonat April. Im vergangenen Monat war ich natürlich wieder eine fleißige Leserin und habe insgesamt acht Bücher gelesen mit 5171 Seiten. Und damit wird der April schon einmal vorsorglich der Monat der dicken Bücher genannt. Dann kann es auch schon los gehen.

Begonnen hatte der Lesemonat April mit Leigh Bardugo's neustem Streich "Das neunte Haus", der Auftakt einer neuen Reihe, die sich zumindest im Voreindruck vom Inhalt her etwas unterscheidet von dem Genre, in dem die Autorin normalerweise zu Hause ist. Obwohl auch das neuste Werk wieder einmal mit Protagonisten mit düsterer Vergangenheit aufwarten kann, spielt "Das neunte Haus" dieses Mal an einem realen Ort, in diesem Fall der Yale Universität, in der mysteriöse Studentenverbindungen ihre Machenschaften treiben und in der die Hauptfigur Alex Stern einen Mord aufklären muss. Und überhaupt wirkt die ganze Geschichte viel mehr verrückt in unsere Realität, als man es noch von Bardugos andere Geschichten kennt. Natürlich weist auch "Das neunte Haus" jede Menge fantastische und paranormale Einflüsse auf, aber genau dieses Verrücken in unsere Realität hat mir unheimlich gut an der Geschichte gefallen. Auch die Komplexität in der Handlung hat mich sehr gefesselt, so dass "Das neunte Haus" ein unglaublich vielschichtiger und interessanter Auftakt war. Ich freue mich schon sehr auf die Fortsetzung.

Weiter ging es im April mit einer Geschichte, auf die ich schon sehr gespannt war. "The Grace Year (Ihr Widerstand ist die Liebe)" von Kim Liggett habe ich durch Zufall auf Instagram entdeckt, der Inhalt versprach ein ähnliches Szenario wie bei "Die Tribute von Panem" mit einer Prise "Der Report der Magd". Und genau das war es schlussendlich auch, hauptsächlich eine Mischung aus beiden Geschichten, die zwischendurch ein paar durchgeknallte Momente hatte und aus deren Ende ich nicht ganz schlau geworden bin. Trotzdem war es interessant zu lesen, auch wenn ich mir zusammenfassend sehr viel mehr Originalität gewünscht hätte, denn schlussendlich war es eben bloß nur eine Mischung aus Panem und "Der Report der Magd". 

Das nächste Buch im Lesemonat war die Fortsetzung einer Reihe, die ich eigentlich nicht weiter lesen wollte. "Die Verschwundenen vom Mondscheinpalast" von Christelle Dabos ist der zweite Teil der 'Die Spigelreisende' Serie, dessen erster Teil ich zwar interessant fand, der mich aber nicht wirklich überzeugen konnte. Doch als sich die Stimmen immer mehr vervielfachten, dass die Fortsetzung sehr viel besser sein soll, ließ ich mich überreden der Fantasy-Reihe noch eine zweite Chance zu geben, und die hat sich mehr als gelohnt. Die Grundidee hinter der Spiegelreisenden Serie hat mich von Anfang an fasziniert auch die Heldin war mir sofort sympathisch, doch nachdem all das im ersten Teil noch ziemlich undurchsichtig und distanziert gewirkt hat, habe ich in "Die Verschwundenen vom Mondscheinpalast" sofort zur Handlung und zu den Figuren eine Beziehung aufbauen können, auch die Handlung wirkte viel zielstrebiger und so wurde die Geschichte plötzlich total spannend und auch die Welt, in der sie spielte immer faszinierender. Jetzt bin ich natürlich sehr gespannt, wie es in der Spiegelreisenden Welt weiter geht. Band drei liegt schon bereit.

Weiter ging es im April mit "Das Buch der vergessenen Artisten" von Vera Buck. Die Geschichte um den Schausteller Mathis Bohnsack wird in zwei Zeitebenen erzählt, eine spielt Anfang der 1900er Jahre und beschreibt, wie Mathis zur Schaustellerei gekommen ist, die zweite siedelt sich um den Beginn des zweiten Weltkrieges an, als Mathis, mittlerweile in Berlin angekommen und mit Partnerin, Mitglied einer Schaustellergruppe wird, die immer mehr von der Verfolgung der Nazis bedroht wird und in der Mathis beschließt das Leben und die Geschichten der einzelnen Schausteller in einem Buch festzuhalten, damit diese nicht vergessen werden. Obwohl ich für die Lektüre des Buches vergleichsweise ziemlich lange gebraucht habe, fand ich die Geschichte in den größten Teilen sehr interessant, auch wenn sie trotzdem einige Längen besaß. Auch die Tatsache, dass sehr viele historisch wichtige Persönlichkeiten in Vera Bucks Geschichte mal freiwillig und mal unfreiwillig Gastauftritte hatten, hat mir sehr gut gefallen und so wurde "Das Buch der vergessenen Artisten" zu einer Geschichte, die ich in guter Erinnerung behalten werde. 

Der Lesemonat ging weiter und hatte schließlich auch einen Roman von John Irving im Gepäck. Schon als ich die ersten Zeilen von "Owen Meany" las, wusste ich, dass John Irving mich wieder einmal hatte. Kann man denn noch großartiger erzählen als dieser wundervolle Mann? Gibt es denn noch herrlichere und schrägere und nicht mehr zu vergessende Figuren als die, die John Irving erschafft? Ich glaube nicht. "Owen Meany" ist bereits vor sehr vielen Jahren zur Papier gebracht worden und doch hat sie nichts von ihrem Zauber verloren. Auch wenn ich mich ein paarmal über den doch sehr religiösen Einfluss in Irvings Geschichte gewundert habe, hat mich dieser doch überhaupt nicht gestört. Denn eigentlich war er überhaupt nicht fehl am Platz, wenn man überlegt, was für eine Figur Owen Meany war. Ich habe das Buch vom ersten bis zum letzten Wort genossen und ich kann es jetzt schon nicht mehr erwarten mir weitere Romane von John Irving vorzunehmen. Denn bisher waren es nur drei und das sind auf jeden Fall zu wenige. 

Das nächste Buch aus dem Lesemonat April kommt von Angie Kim. Der Ausflug nach "Miracle Creek" war eine Mischung aus Gesellschafts-, Einwanderer-, Justiz- und Kriminalroman und wie immer bei wilden Genrewechsel fand ich die Lektüre sehr interessant. Ausgangsszenario, eine verheerende Explosion in einer sogenannten Druckluftkammer, in der Patienten eine Sauerstofftherapie erhalten können, in der sie reinen Sauerstoff einatmen. Die Explosion, bei der mehrere Menschen starben und die zunächst als tragisches Unglück deklariert, am Ende zu einem spektakulären Mordprozess wird, in dem auf der Anklagebank eine Mutter sitzt, die die Kammer vorsätzlich zur Explosion gebracht haben soll, um ihren autistischen Sohn, der sich in der Kammer befand, zu töten. Jede Menge Wendungen und Handlungsumwürfe führten dazu, dass man nie so recht wusste, wer jetzt die Wahrheit sagte und wer log. So hat die Autorin alles richtig gemacht und einen mehr als spannendes und interessantes Debüt vorgelegt. 

Weiter ging es mit einem Buch, für das ich knapp ein ganzes Jahr gebraucht habe. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass "Max, Mischa und die Tet-Offensive" von Johan Harstad ein schlechtes Buch ist, im Gegenteil. Erst einmal hat die schiere Länge meiner Lektürezeit wohl auch damit zu tun, dass Harstads Werk stolze knapp 1400 Seiten vorzuweisen hat. Und dann habe ich mich nie gedrängt gefühlt die Geschichte in Windeseile zu lesen, weil ich der Meinung bin, dass manche Bücher Zeit brauchen. Und da der Autor sowieso eine ganze Lebensgeschichte zu erzählen hatte, fand ich es auch nicht tragisch, dass mich sein Buch so lange begleitet hat. Es geht um Max, der mit seiner Familie von Norwegen in die USA einwandert und sich zunächst in der Nähe von New York City niederlässt. Es geht um den Vietnamkrieg oder eher dessen Folgen, die die Figuren ein Leben lang begleiten. Es geht um Max Liebe zu Mischa, die ihn durch Jahrzehnte begleitet. Es geht um Kunst, Theater, einfach um das Leben. Johan Harstad hat mit "Max, Mischa und die Tet-Offensive" ein monumentales Glanzstück geleistet, das mich als Leserin ein wenig wehmütig zurück gelasssen hat, denn wenn eine Geschichte einen so lange begleitet, dann fühlt man am Ende noch ein bisschen mehr als sonst, als hätte man eine Handvoll guter Freunde verloren. 

Und zu guter Letzt reiste ich mit der Autorin Delphine Minoui ins zerstörte Syrien in die Stadt Daraya. In "Die geheime Bibliothek von Daraya" erzählt uns Minoui wie eine Handvoll junger Männer die unendliche Kraft des Lesens entdeckt. Alles beginnt damit, dass sie anfangen aus zerstörten Häusern Bücher zu retten. Und als diese immer mehr wurden, entschlossen die jungen Männer sich die Bibliothek zu gründen, die ein Zufluchtsort für die Restbevölkerung von Daraya wird, die unerbittlich ihre Stadt verteidigen, während der Präsident von Syrien alles daran setzt diese zu erobern. Mit der ständigen Angst vor herabfallenden Bomben, finden die übrig gebliebenen Einwohner der Stadt im geschriebenen Wort die Kraft und den Trost, den sie brauchten, um durchzuhalten und nicht aufzugeben. "Die geheime Bibliothek von Daraya" macht auf der einen Seite wütend über die Grausamkeit und Sinnlosigkeit des Krieges und dessen Folgen, auf der anderen Seite macht sie aber auch Hoffnung, dass Bücher die Macht haben Unglaubliches zu bewirken und Licht spenden, wenn nur noch Dunkelheit herrscht. 

Und das war er auch schon wieder, mein Lesemonat April. Insgesamt war ich wieder einmal sehr zufrieden und dankbar, um die Bücher, die ich lesen durfte. Und ich freue mich natürlich schon sehr auf den Mai und die Geschichten, die mich dort erwarten.