Donnerstag, 1. Oktober 2020

Holly Bourne - War's das jetzt?


 


Verlag: dtv-bold
Erschienen: 18. September 2020
Seiten: 416
Preis: 16.90 Euro (Ebook: 14.99 Euro)






Es gibt Situationen, da möchte man in Bücher hineinklettern, man möchte auf geradem Weg zur Hauptfigur marschieren und diese einmal ordentlich durchschütteln, und wenn man diesen Impuls gleich mehrmals hintereinander hat, dann könnte es durchaus sein, dass man es mit "War's das jetzt?" von Holly Bourne zu tun hat. Und das ist keine überspitzte Formulierung, denn Holly Bournes Roman über ihre Hauptfigur Tori, die im äußeren Schein ein Bilderbuchleben in London führt, als über die Landesgrenzen hinaus erfolgreiche Schriftstellerin und in einer glücklichen Langzeitbeziehung befindend, ist eine Herausforderung. 
"War's das jetzt?", das war eine Hassliebe auf der ersten Seite und mir fiel es wahrscheinlich noch nie so schwer ein Buch am Ende wirklich zu bewerten, denn wie fand ich 'War's das jetzt?" eigentlich? Auf der einen Seite ist da mein ständiger Zwiespalt mit der Protagonistin, auf der anderen Seite allerdings das Gefühl komplett in dem Roman versunken zu sein, und ihm seitdem nicht mehr aus dem Kopf zu kriegen. Aber erst einmal der Reihe nach:
Der Inhalt in "War's das jetzt?' ist schnell abgerissen. Es geht um Tori, die in London zusammen mit ihrem Freund Tom in einer Eigentumswohnung lebt. In den Zwanzigern schrieb Tori eine Art Selbstfindungsbuch, das zu einer Bibel für ihre Fangemeinschaft geworden ist und von dem sie auch, mittlerweile kurz vor ihrem 32. Geburtstag, immer noch gut leben kann. Toris beste Freundin heißt Dee, zu Beginn der Geschichte ein chronischer Langzeitsingle, die mit allerlei Datingkatastrophen aufwarten kann und mit der Tori die gleichen Dinge verabscheut, wie Babyparties oder pompöse Hochzeiten in der Natur der Londoner Vororte, bis Dee auf genau einer solcher Hochzeiten plötzlich ihrem Traummann begegnet und ihr Leben eine komplette Wendung nimmt.
Holly Bourne baut ganz bewusst Toris Leben als eines auf, auf das man neidisch sein muss, denn äußerlich scheint Tori alles zu haben, doch zu Beginn des Buches wird schnell deutlich, dass sie eines am besten kann: eine Rolle spielen. Ganz schnell zerbricht die Fassade eines perfekten Lebens und offenbart einiges, was dahinter liegt. Toris beruflicher Erfolg entpuppt sich als laufendes One-Hit-Wonder, denn seit ihrem ersten Buch, das mittlerweile einige Jahre auf dem Buckel hat, hat Tori nichts mehr geschrieben, als Pseudo-Weisheiten bei ihren Signierstunden in einer Widmung, und das Schlimme daran: Sie hat auch keine Idee, ihr Kopf scheint wie leergefegt. 
Und wenn man Tori in ihrer Langzeitbeziehung mit Tom als 'unsicher' bezeichnen würde, wäre das sehr weit untertrieben, denn sie zittert vor Angst. Mit einer unglaublich tief sitzenden Angst davor verlassen und - wohlgemerkt - nicht davor ihren Freund zu verlieren, sondern mit Anfang 30 wieder Single und alleine zu sein, merkt Tori nicht, dass sie sich in einer fast schon nicht mehr zu ertragenden toxischen Beziehung befindet. Das, was Tom jahrelang mit seiner Freundin anstellt, ist emotionale Erpressung der schlimmsten Sorte, die in 'Sexszenen' gipfelt, die an sexuellen Missbrauch grenzen. Diese Szenen der Beziehung konnte ich emotional fast nicht mehr stemmen und musste das Buch weglegen. Ich war enttäuscht, wütend, traurig und empfand entsetzliches Mitleid mit Tori, vor allem, weil sie in ihrem ständigen Wahn ihr perfektes Leben der Außenwelt zu präsentieren sich selbst ihrer Familie und ihrer besten Freundin nicht anvertraut und Tom weiterhin als 'idealen Mann' darstellt.
Holly Bourne schreibt ihren Roman auf so unfassbar ehrliche Art und Weise, dass es weh tut. Es gab Szenen, in denen ich Tori und ihr Handeln auf's Innerste nicht verstanden habe und dann wiederum gab es Situationen, in denen ich mich fast ertappt fühlte, weil ich es so nachvollziehen konnte, wie sie sich fühlte und handelte. Ertappt gefühlt habe ich mich ebenfalls an den Stellen, an denen Holly Bourne mit den Sozialen Medien abrechnet und der Gesellschaft einen Spiegel vorhält. 
Und obwohl ich nach der Lektüre von "War's das jetzt?" kilometerweit entfernt davon war mich glücklich und zufrieden zu fühlen, sondern eher eine tiefe Traurigkeit empfand, war ich doch froh das Buch gelesen zu haben. Holly Bourne hat nicht nur ein unglaubliches Talent dafür mit Worten zu entblößen, sondern schreibt über Themen, die sehr wichtig sind und gerade in Romanen viel zu wenig zur Sprache kommen. Deswegen ist "War's das jetzt?" irgendwie auch eine Art Selbstfindungsbuch, denn genau wie die Hauptfigur Tori rechnet man auch ein wenig mit sich selbst ab, fühlt sich entlastet von der Gesellschaft vorgegebenen Zwangsvorstellungen und reflektiert das eigene Leben. Und das ist manchmal schmerzhaft, aber auch unglaublich befreiend.